Domfeuer
aufwachen, soll er doch. Dann zeige ich ihm mal, was ein echtes Weib ist. Weshalb ist er denn eingeschlafen, du dummes Ding, du? Warst nicht gut genug, oder? Hast ihn nicht da gekrault, wo es die Männer am liebsten haben?«
»Seid endlich leise!«
Der Tonfall des Mädchens hatte sich gewandelt. So scheu und unsicher schien sie gar nicht zu sein.
»Willst du mir jetzt drohen, du kleines Flittchen?«
Die Kleine tat forsch einen Schritt auf Irmel zu. »Redet nicht so mit mir. Ihr seid nur eine Hure, ich aber bin Jungfrau.«
»Jungfrau? Du arbeitest in diesem Haus und willst noch Jungfrau sein?«
»Ja, Jungfrau.« Das Mädchen reckte stolz das Kinn vor. »Was habe ich Euch denn getan? Ich wollte nur an Eurer Tür vorbei, und das verstößt meines Wissens nicht gegen die Regeln dieses Hauses. Tut es das doch, gehe ich jetzt gern zu Henner und setze ihn über mein Vergehen und Eure Klage in Kenntnis. Wollt Ihr das, Ihr vertrocknete alte Pflaume?«
Bevor seine Mutter zu einer unüberlegten Entgegnung ansetzen konnte, packte Paulus sie am Arm. Sie erschrak, denn sie hatte ihn zuvor nicht gesehen, und ließ sich wortlos in ihre Kammer schieben.
»Lass gut sein und geh einfach deines Weges«, sagte er zu dem Mädchen und schloss die Tür.
»Was soll das, Paulus?«, schrie seine Mutter nun noch lauter. »Drei Söhne habe ich unter Schmerzen auf die Welt gebracht, jahrelang eine Amme für sie bezahlt, doch keiner von ihnen hält es für nötig, seine alte Mutter zu besuchen. Und wenn doch mal einer kommt, benimmt er sich wie mein Vormund. Pfui! Hast du keinen Anstand?«
Paulus hatte lange gebraucht, um zu begreifen, wie seine Mutter sie behandelte. Sie versuchte, ihre Kinder an sich zu ketten, indem sie ihnen stets ein schlechtes Gewissen einredete, auch dann, wenn es gar nichts zu tadeln gab. Vorwürfe, nichts als Vorwürfe bekam er von ihr zu hören, niemals ein liebevolles Wort oder gar ein Lob. Wie ein Blutegel Blut saugte, so saugte sie die Liebe ihrer Söhne auf. Sie war ein Gefühlsschmarotzer. Aber sie war nun mal auch seine Mutter. Darum hatte er bisher immer über ihr Gemaule hinweggesehen. Doch jetzt kochte er. Es war an der Zeit, dass er auch einmal an sich selbst dachte.
»Halt endlich den Mund, Mutter«, fuhr er sie an, obwohl sie gar nichts mehr sagte.
Sie riss die Augen auf. Und als er seinen Umhang ablegte, schlug sie die Hände vor den Mund. Paulus sah an sich hinab. Das Blut auf dem Hemd war inzwischen geronnen.
»Bist du verletzt?« Ehrliche Sorge schwang in ihrer Stimme mit.
»Nein. Aber in Schwierigkeiten. In großen Schwierigkeiten.«
»Hast du etwas verbrochen?« Ihre Stimme klang bereits weniger besorgt. Eher vorwurfsvoll.
»Nein. Aber jemand hat mich hereingelegt. Die ganze Welt soll glauben, ich hätte etwas angestellt. Etwas sehr Schlimmes. Mutter, ich brauche für die Nacht ein Dach über dem Kopf. Lass mich bitte hier schlafen.«
»Wie stellst du dir das vor? Ich habe zu tun, ich muss Freier bedienen. Leider muss ich mir das Brot in meinem Alter noch selbst verdienen, weil sich meine Herren Söhne einen feuchten Dreck um mich scheren.«
Paulus ließ sich auf die Bettstatt sinken. Sie hatte noch nicht einmal nachgehakt, was geschehen war, und begann schon wieder mit ihren Vorhaltungen. Er löste die Schnüre an seinem Hemd. »Hast du etwas für mich zum Anziehen? So kann ich nicht länger herumlaufen.«
Seine Mutter nickte und verließ die Kammer. Aus der Nachbarkammer waren das Quietschen eines Mädchens und das Stöhnen eines Mannes zu hören. Die unanständigen Geräusche gewannen an Lautstärke, und sie erreichten den Höhepunkt just in dem Augenblick, als Irmel mit einem Hemd zurückkehrte, das nicht frisch, aber doch sauber war. Paulus zog es über, während sie sich, noch immer halb nackt, neben ihn setzte.
»Ist von Henner. Pass also auf, dass es heil bleibt. Was würdet ihr Jungen nur ohne eure Mutter machen? Ach, was predige ich hier. Enkel und Urenkel müsste ich haben, doch stattdessen muss ich euch noch die Windeln wechseln.«
Paulus rieb sich durch das Gesicht. Irgendwann würde sie still sein. Er musste nur geduldig bleiben und einfach dasitzen. Alles eine Frage der Zeit. Er versuchte, nicht mehr auf ihre Worte zu achten.
»Wenn du Geld willst, dann schlag dir das gleich aus dem Kopf.«
»Geld?« Paulus dachte an die Münze, die er als Lohn von Nox bekommen und in seinen Brustbeutel gesteckt hatte. »Ich brauche kein Geld. Lass mich doch endlich mal in
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