Domfeuer
wirklich. Und so selbstlos.«
»Du wirst mir doch wohl nachsehen, dass mir mein Leben wichtiger ist als deins.«
Paulus blieb abrupt stehen und wandte sich mit drohendem Zeigefinger zu ihr um. »Sicher, wichtiger als meins. Und wichtiger als dein eigenes Kind. Du hättest gestern Nacht aus unserem Behelfsboot aussteigen sollen, um dich um dein Kind zu kümmern, Jenne. Wir sind ganz nah an Lisgens Wohnung vorbeigefahren. Aber du hast es vorgezogen, bei mir und der dicken Geldkatze zu bleiben. Du bist eine Rabenmutter, Jenne. Du denkst nur an dich.«
Nun war es Jenne, die ihren Zorn kaum bändigen konnte. »Ich bin bei dir geblieben, weil die Bluthunde vermutlich auch hinter mir her waren, denn du hohle Nuss hast ja ausgiebig in Blut gebadet und auch mich angefasst. Wäre ich unterwegs aus dem Bach gestiegen, hätten die Hunde meine Fährte aufgenommen, und du wärest fein aus dem Schneider gewesen. Ich hingegen hätte nicht nur mich, sondern auch Jax und Lisgen in Gefahr gebracht. Außerdem bin ich keine Rabenmutter.«
Jenne bohrte ihren Zeigefinger in seine Brust, doch Paulus fuhr auf dem Absatz herum und setzte seinen Weg fort.
»Natürlich nicht«, rief er über die Schulter. »Und als Nächstes willst du mir sicher wieder erzählen, dass du Jungfrau bist, du züchtige Dirne aus Henners Hurenhaus.«
»Es geht dich zwar überhaupt nichts an, aber genau das ist die Wahrheit – ich bin weder eine Rabenmutter noch entjungfert.«
Paulus blieb stehen. »Ich gebe auf«, sagte er.
»So schnell schon verzagst du?« Jenne schloss zu ihm auf und stellte sich neben ihn. Sie konnten das Jahrmarkttreiben bereits hören. Der Heumarkt war nur noch zwei Straßen entfernt.
»Ja, so schnell. Und weißt du auch warum?«
»Nein. Sag es mir.«
»Weil Wahrheit etwas ist, mit dem du nicht allzu viel anfangen kannst. Warum also sollte ich auf Ehrlichkeit pochen? Ich erwarte nichts mehr von dir. Dann kannst du mich auch nicht mehr überraschen.« Paulus wandte sich um und sah die Straße hinab. »Gleich sind wir am Hause Mummersloch. Jetzt ist es an dir, dich in die Höhle des Löwen zu begeben. Ich bleibe hier.«
Jenne nickte. »Sag mir erst noch, wie es bei Lisgen war. Geht es Jax gut?«
»Quietschfidel. Um ihn würde ich mir keine Sorgen machen. Sehr wohl aber um dich.«
»Warum das?«
»Auf der Gasse vor Lisgens Haus hat einer von Henners Männern gehockt. Zum Glück war er nicht besonders helle. Er hat mich zwar erkannt, genau wie ich ihn. Aber da er offenbar nur den Auftrag hatte, nach dir Ausschau zu halten, fand er es allenfalls ein wenig befremdlich, nicht aber verdächtig, mich dort anzutreffen. Und jetzt – viel Glück!«
Jenne ging los. Jax ging es gut. Zum Glück. Aber Henner ließ ihn bewachen. Zum Teufel.
Das Bürgerhaus war eigentlich zu klein. Kämen alle Mitglieder gleichzeitig in das Haus an der Judengasse, würden sie vermutlich gar nicht hineinpassen. Fast vierhundert Männer zählte die Richerzeche, wie sich die Gemeinschaft der reichen Kölner nannte. Im Bürgerhaus trafen sie sich, um die Geschicke der Stadt zu bestimmen – solange sie dem Erzbischof dabei nicht in die Quere kamen. Die Richerzeche übte die Aufsicht über die Märkte aus, sie verlieh das Zunftrecht und entschied, wer sich Bürger von Köln nennen durfte.
Für Konstantin boten die Mordfälle eine willkommene Gelegenheit, endlich einmal einen Blick in dieses Gebäude zu werfen. Um mehr über die drei toten Kaufleute zu erfahren, gab es keinen besseren Ort als das Haus der Richerzeche. Domus in quam cives conveniunt , ein Haus, in dem die Bürger zusammenkommen, so nannten die Mitglieder der Gemeinschaft den Bau. Aber unter »Bürgern« verstanden sie vornehmlich sich selbst. Die Reichen blieben gern unter sich. Für heute war keine Versammlung anberaumt, doch ging Konstantin davon aus, dass die Ereignisse der vergangenen Nacht für einigen Aufruhr sorgen würden. Die Kunde von den Morden rollte durch die Stadt, und hier würde es die neuesten Gerüchte geben.
In der Vorhalle wies man ihm den Weg in den großen Versammlungssaal, der im oberen Stockwerk gelegen war. Über eine Treppe aus schweren Balken gelangte er zu einer hohen Eichentür. Als er in den Saal trat, streiften ihn abfällige Blicke. Wie er erwartet hatte, war das Bürgerhaus an diesem Vormittag gut besucht. Die Männer standen in kleinen Gruppen beisammen und unterhielten sich. Konstantin sah Männer der reichsten und damit mächtigsten Kölner
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