Domfeuer
will. Ich verstehe es nicht.«
»Ich dachte, wir wären nicht verheiratet? Jetzt willst du ja doch über solch vertrauliche Dinge reden.«
»Du musst es nicht, wenn du nicht willst. Aber ich würde gern wissen, wem ich mein Vertrauen schenke. Dass du Jungfrau bist, kannst du gern Joseph von Nazareth erzählen. Mir aber nicht.«
Jennes Zeh tauchte gleich vor ihm aus dem Wasser auf und wackelte hin und her. »Du siehst nur so viel von mir und wunderst dich, wenn du den ganzen Rest nicht begreifst.«
»Dann zeig mir ein wenig mehr von dem Rest.«
»Beginnen wir mit dem einfachsten. Jax ist nicht mein Kind.«
»Bitte?«, platzte Paulus heraus.
»Jax ist mein kleiner Bruder. Und Henner ist unser Vater.«
»Was?«
»Wenn du so weiterkreischst, müssen wir noch unseren Zuber räumen.«
»Henner ist euer Vater?«
»Ich glaube, so habe ich es gerade gesagt.«
»Ich dachte immer, er hätte keine Familie.«
»Mutter legte Wert darauf, nicht im Hurenhaus zu wohnen.«
»Und dein eigener Vater schickt dir Männer auf die Kammer?«
»Versuche doch bitte, deine Empörung ein wenig zu zügeln. Bisher sind wir nur so weit gekommen«, sagte Jenne und hob nun ihren Fuß aus dem Wasser, um den Fortschritt ihrer Erläuterungen zu zeigen. »Vater und ich haben eine Abmachung. Er sichert mir zu, dass ich meine Jungfräulichkeit nicht verliere, ich sorge dafür, dass es in seinem Geldbeutel klingelt.«
»Ich bin sehr gespannt zu hören, wie sich das vereinbaren lässt.«
»Ich gestehe – einzig mit nicht ganz ehrlichen Mitteln. Vater preist mich seinen reichsten Gästen als Jungfrau an, und ich gebe meinen Verehrern ein starkes Schlafmittel in den Wein. Wenn sie aufwachen, habe ich einen fürstlichen Lohn eingestrichen, und die Herren glauben fest daran, soeben den besten Beischlaf ihres Lebens gehabt zu haben.«
»Und wenn einer zweifelt?«
»Dann wagt er es doch nicht, öffentlich Klage zu führen.«
»Allzu oft kann Henner dich aber nicht als Jungfrau verkaufen.«
»Öfter als du denkst. Meine Freier sind ausnahmslos reiche Kaufleute auf der Durchreise. Sie kommen von weit her, und bis sie wieder einmal in Köln sind, werde ich bestimmt nicht mehr in Vaters Gasthaus zu Werke gehen.«
»Bei deinem letzten Freier hast du, scheint’s, den Bogen überspannt.«
»So scheint es.« Jenne zog mit einem Finger Linien ins Wasser. Ihre Unbekümmertheit war verschwunden. »Als ich das Geld gesehen habe, ist ein Gaul mit mir durchgegangen. Ein kleiner Betrug war auch für Vater immer völlig in Ordnung. Aber so ein richtig großer Diebstahl – das wird er mir niemals verzeihen. Damit habe ich sein Haus in Verruf gebracht. Ich denke nicht, dass ich ihm noch einmal unter die Augen kommen kann. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, wenn ich denn das Geld nur hätte. Ich hätte mit Jax durchbrennen und irgendwo ein neues Leben beginnen können.«
»Ohne deinen Vater?«
»Nur weil er es nicht zulässt, dass mich fremde Männer gegen Geld besteigen, ist er noch lange kein Vater, der sein eigen Fleisch und Blut über alles liebt. Was glaubst du, weshalb ich Lisgen ein paar Münzen für Jax habe zukommen lassen? Vater wollte in seinem Alter keine Kinder mehr und hat unserer Mutter vorgeworfen, ihm auf die alten Tage noch ein überflüssiges hungriges Maul ins Haus zu holen. Wir waren schon zu siebt, und Jax war ein Nachzügler. Viermal hat Vater unsere Mutter zu einer Engelmacherin geschleift, immer vergebens. Jax hatte einen unbändigen Willen und hat jedem Kraut widerstanden. Als Mutters Bauch gewachsen ist, bis er dem eines Mönches ähnelte, hat Vater ihr beigewohnt, manchmal auf widernatürlichste Weise. Auch das hat Jax nicht aus dem Leib getrieben. Als die Niederkunft schließlich kurz bevorstand, hat er sie halb totgeschlagen. Mutter und Jax haben es beide überlebt.«
Paulus empfand Verachtung für Henner, Wut. Kein Geschöpf war wehrloser als ein ungeborenes Kind, keine Tat niederträchtiger als allein schon der Versuch, ein solches Leben auszulöschen. Doch als er einen Augenblick länger darüber grübelte, hielt er seine Empörung für unangebracht und heuchlerisch. Auch seine Mutter hatte oft genug einer Kräuterfrau Besuche abgestattet. Wer wusste schon, wie oft sie von einem Freier schwanger geworden war? Dutzende Kinder musste sie abgetrieben haben. Paulus erinnerte sich, wie oft sie danach tagelang krank auf ihrem Lager gelegen hatte. Einmal hatte sie gar ein Kind unter Schreien verloren, als Matthias und
Weitere Kostenlose Bücher