Domfeuer
können.
Hatte das Mädchen dem Löwen gerade tatsächlich auf den Schwanz getreten? Was zum Henker ging hier vor?
SUMMUM
Zweiter Teil
KÖLN, 30. APRIL 1248, DER QUIRINUSTAG,
EIN DONNERSTAG
Als Paulus Jenne weckte, war vermutlich viel mehr Zeit verstrichen als nur ein oder zwei Stunden. Auf dem Schiff war es still, auch der Lärm der Stadt war verstummt. Köln schlief. Die Besatzung hoffentlich auch. Sie brachten die Esche wieder längsseits des Schiffes und steuerten sie bis zum Bug. Das Seil war noch da.
»Viel Glück«, flüsterte Jenne und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
Verdattert rieb sich Paulus die Stelle, auf die sie ihre Lippen gedrückt hatte.
»Reibst du den Kuss etwa wieder ab?«
»Nein. Äh … nein, nein. Ich reibe ihn nur fester hinein.«
Am liebsten hätte er sich eine Backpfeife verpasst. Tiefer hineinreiben? Was für ein ausgemachter Blödsinn. Aber warum musste sie ihn auch immer wieder in Verlegenheit bringen? Paulus nickte unbeholfen und machte sich ein zweites Mal daran, das Schiff zu entern.
An der Oberkante des Bugs angekommen, hielt er inne und lauschte. Alles still. Vorsichtig reckte er die Nase über die Bordwand und sah sich auf dem Vorderkastell um. Keine Menschenseele war zu sehen, zumindest hier oben nicht. Ganz sicher konnte er sich nicht sein, denn in der Dunkelheit an Deck konnte sich mühelos ein Dutzend Männer verstecken. Paulus schwang ein Bein auf die Bordwand und zog sich auf das Vorderkastell.
Himmel, war das Schiff hoch gebaut! Auf Zehenspitzen ging er hinüber auf die andere Seite des Schiffes und staunte. Fast sah es so aus, als könnte man von hier oben auf die Stadtmauer blicken. Doch Paulus ließ sich nur kurz in den Bann schlagen. Je schneller er von Bord kam, desto besser. Er trat an die Brüstung und stieg die Leiter hinab auf das Mitteldeck. Um die große, holzvergitterte Ladeluke machte er erst einen großen Bogen, weil er fürchtete, der Löwe könnte daruntersitzen und von ihm geweckt werden. Paulus gab sich aber doch einen Ruck. Wenn er in den Bauch des Schiffes gelangen wollte, musste er durch eine kleine Klappe steigen, die in die Luke eingelassen war.
Behutsam hob er die Klappe an, lobte still die Besatzung, die alle Scharniere geölt hatte, schlüpfte hinein – und hielt die Luft an.
Licht!
Weit vorn im Bug baumelte eine schwach brennende Talgpfanne, die genug Helligkeit spendete, um den Bauch des Schiffes matt auszuleuchten. Paulus fühlte sich wie ein Nackter auf dem Marktplatz, wie an den Pranger gestellt. Mit einem Satz huschte er in den Schatten des Mastbaums, der durch das Deck bis hierher auf den Schiffsgrund reichte.
Alles blieb ruhig.
Paulus atmete auf und schüttelte zugleich den Kopf. War die Mannschaft von Sinnen? Eine offene Flamme auf einem Schiff durfte nie unbeaufsichtigt bleiben. Nicht ohne Grund gab es warme Mahlzeiten nur, wenn der Meester des Schiffes sie ausdrücklich anordnete.
Lautes Schnarchen verriet ihm, wo die Besatzung schlief – und dass sie tief und fest schlief. Die Männer waren im Bug rund um die Lampe untergebracht und hingen der Mäuse und Ratten wegen in Schlafsäcken. Der Frachtraum war vollgestellt mit einigen Fässern und Kisten und dazu vielen Säcken. Der Pfeffer, wie Paulus vermutete. Aber wo war der Löwe? Hier unten jedenfalls nicht.
Paulus machte sich an der Ladung zu schaffen. Irgendwo musste doch etwas zu entdecken sein, was auf die Herkunft des Schiffes schließen ließ. Er fand das Übliche. Taue, Faden und Segeltuch zum Flicken. Ausreichend Proviant, darunter Pökelfleisch und gesalzenen Kabeljau und Dorsch, Zwieback und einige kleine Fässer mit leichtem Bier. Paulus betastete einen der großen Säcke und wunderte sich, dass sich der Inhalt nicht körnig anfühlte. Eher wie gebündelte Zweige. Auch im zweiten Sack war gewiss kein Pfeffer, auch nicht im dritten, vierten oder fünften. Mit dem Panzerbrecher durchstach er den groben Stoff eines Sackes und riss ihn auf. Tatsächlich – Reisig. Von einer Schiffsladung Pfeffer konnte keine Rede sein.
In den großen Fässern vielleicht? Paulus versuchte, eines zu öffnen, doch war es fest vernagelt. Und ungewöhnlich schwer. Wein, Wasser oder Bier waren nach seiner Erfahrung gewiss nicht darin. Er untersuchte die anderen Fässer, bis er eines fand, das leckte. Eine schwarze Flüssigkeit drang durch eine Ritze zwischen zwei Dauben. Er verrieb ein wenig zwischen seinen Fingern. Zäh und klebrig war sie. Pech.
Reisig und Pech
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