Domfeuer
unter seinem Fuß zappelte, und hielt dabei Jennes Hand mit dem Beil weiter in seinem eisernen Griff über dem Kopf. »Deine Mutter war so gar nicht nach meinem Geschmack. Ich war daher so frei, ihr das Licht ein wenig schneller auszublasen als deinen beiden Brüdern.«
In Paulus krampfte sich alles zusammen. Nicht auch noch seine Mutter. »Warum?«, schrie er. »Warum tust du mir das an? Was habe ich verbrochen?«
Nun war auch im Achterkastell Bewegung zu erkennen. Ein Kienspan warf Licht durch Bretterritzen.
»Warum? Einfach darum. Weil es mir gefällt. Weil ich einen Schuldigen brauchte. Aber du bist kein guter Schuldiger, denn du entkommst immer. Daher ist es an der Zeit, dass auch du verschwindest, bevor du mich in Gefahr bringst.«
»Nein«, sagte Jenne trocken. »Auch dieses Mal wird er entwischen.«
Nox lachte laut auf und warf den Kopf in den Nacken. »Und du verhilfst ihm zur Flucht, nicht wahr?«
»Die Strafe für deinen Hochmut folgt auf dem Fuße«, sagte Jenne. »Pass auf.«
Sie ließ das Beil los. Es fiel, und die Schneide bohrte sich in Nox’ Fuß. Der Hüne stieß einen unmenschlich klingenden Schrei aus. Er sprang zur Seite und stürzte – das Beil fesselte Nox durch Schuh und Fuß hindurch ans Plankendeck.
»Schnell weg!«, rief Paulus.
Es war allerhöchste Zeit. Die Tür zum Achterkastell und die Luke in den Frachtraum wurden gleichzeitig aufgestoßen. Paulus packte Jenne an der Hand. Sie nahmen Anlauf und sprangen über die Bordwand in die pechschwarze Nacht. Hinter sich hörten sie Wut- und Schmerzensschreie.
»Dafür werdet ihr büßen«, brüllte Nox. »Hört ihr mich? Das bezahlt ihr mir mit eurem Leben.«
Paulus und Jenne schwammen Richtung Ufer und schoben die Esche vor sich her. Jenne drehte sich zum Schiff um. Sie hatten es schon ein gutes Stück hinter sich gelassen. Mit jedem Stoß ihrer Beine ins Wasser wuchs in ihr die Erleichterung.
»Du solltest doch in der Esche bleiben«, sagte Paulus.
»Ist das dein Dank? Ich habe dir das Leben gerettet, wieder einmal.«
»Es war gefährlich.«
»Aber richtig.«
»Mag sein. Sagtest du nicht, du könntest nicht schwimmen?«
»Wenn ich mich nicht an dir oder der Esche festhalten könnte, hätte ich ein Problem.«
»Verfolgen sie uns?«
Jenne wandte sich nochmals um. »Ich sehe nichts. Zu dunkel.«
Paulus strampelte kräftiger. »Ich muss raus aus dem Wasser.«
»Ich auch. Das ist verflucht kalt.«
»Das meine ich nicht. Hast du gehört, was er über meine Mutter gesagt hat?«
Das hatte sie. Jenne zweifelte nicht, dass Nox die Wahrheit gesagt hatte. Dennoch sagte sie: »Vielleicht hat er nur geflunkert. Weil er dich quälen wollte.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Deshalb muss ich raus aus dem Wasser und hinüber ins Hurenhaus. Barthel ist fast ums Leben gekommen, Matthias ist möglicherweise tot und meine Mutter auch. Ich brauche Gewissheit.«
»Die Tore sind geschlossen.«
»Dann gleich morgen früh.«
»Du willst wirklich wieder durch die ganze Stadt laufen? Paulus, wenn sie tot ist, kannst du es nicht ändern.«
Sie erreichten die Hafenmauer und stiegen über eine Treppe aus dem Wasser. Noch auf den Stufen zog Jenne ihre trockenen Sachen über. Tropfnass saß Paulus auf dem Treppenabsatz und schwieg.
»Und was jetzt?«, fragte Jenne.
»Zurück zur Mühle«, gab Paulus tonlos zurück.
»Dann müssen wir am Schiff vorbei.«
»Na, und? Es ist stockduster. Außerdem rechnen sie wohl kaum damit, dass wir schon wieder so dreist sind, bei ihnen vorbeizuschauen.«
»Dann los«, sagte Jenne und zupfte sich ihre Kleider zurecht.
»Jenne?«
»Ja?«
»Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich bereit, einen Menschen zu töten.«
Sie sah ihn an. »Das verstehe ich.«
»Noch was, Jenne.«
»Ja?«
»Eben auf dem Schiff, da warst du unglaublich gut.«
Das Schweigen füllte das Mühlhaus. Selbst Ulfs Mundwerk stand still. Ab und zu sahen sich Paulus und Barthel im Schein des Öllichts an, aber beide blickten dann gleich wieder zu Boden. Paulus hatte Nox’ Worte über ihre Mutter übermittelt. Die Nachricht war für Barthel, der in der Nacht zuvor bereits seinen Vater verloren hatte, niederschmetternd. Mit den Händen rieb er sich unentwegt seine Stirn. Paulus wagte es nicht, Bärbel anzuschauen. Ihn plagte das schlechte Gewissen, obwohl er sich gar nichts hatte zuschulden kommen lassen.
»Hast … hast du irgendetwas herausgefunden?«, brachte Barthel mühsam hervor.
»Wir haben jetzt Gewissheit, dass Nox und die
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