Don Fernando erbt Amerika
Terroristen wie die RAF. Hier geht es um eine internationale Verbrecherbande: Spanier, Afghanen und womöglich auch noch Russen.«
»Warum haben wir dann nicht den KGB angefordert?«, fragte Köberlein.
»Weil«, sagte Kretschmer geduldig, »der KGB keine Ahnung von moderner Verbrechensbekämpfung hat, sondern nur von moderner Verbrechensbegehung. Die Einheiten treffen morgen hier ein und sollen von Ihnen in jeder Hinsicht unterstützt werden.«
Köberlein nickte müde. Tief in sich verspürte er Heißhunger auf ein bestimmtes französisches Gebäck, dessen Name ihm partout nicht einfallen wollte. Er beschloss, im Lexikon unter »Gebäck« nachzusehen, sobald Kretschmer endlich gegangen war.
»Kommen die dann hierher?«, fragte er Kretschmer.
Der Sekretär, der mittlerweile auf Drängen des Innenministers zum außerordentlichen Polizeiberater mit kommissarischen Vollmachten ernannt worden war, nickte.
»Ich sehe Sie dann morgen«, sagte er noch. »Wir wollen möglichst bald losschlagen.«
Köberlein winkte geistesabwesend mit der Hand, als sich die Tür hinter Kretschmer schloss. Baguette? Nein, das war es nicht. Brioche? Nein, sicher nicht. Pain Complet? Er kam einfach nicht darauf, und das machte ihn unglücklich. Er zog die Schreibtischschublade auf und beschloss, noch eine dieser gelben Tabletten zu nehmen. Vielleicht half das seinem Gedächtnis auf die Sprünge.
Sobald die Filmindustrie in Amerika Mitte der zwanziger Jahre ein angemessenes Niveau erreicht hatte, trat einer der gewaltigsten Langzeitpläne des damaligen FBI-Chefs Hoover in Kraft. Über eine geheime Order, die in den Safes aller Filmbosse lagerte, war verfügt worden, dass Geheimdienstleute in allen amerikanischen Filmen einer bestimmten Kleiderordnung unterlagen. Sie hatten stereotyp Trenchcoats, Hüte und Sonnenbrillen zu tragen und ihre Gesichter hatten hart, kantig und männlich zu sein. Phase I dieses Plans zielte darauf ab, die wirklichen Geheimdienstleute, die meistens wie Düngemittelvertreteraussahen und selten mit mehr als Federhaltern bewaffnet waren, im Bewusstsein der amerikanischen Gesellschaft unsichtbar zu machen. Selbstverständlich klang der Erfolg der Phase I – wie Hoover berechnet hatte – nach kurzer Zeit ab, weil jeder Amerikaner mittlerweile ahnte, dass echte Geheimdienstleute selten wie Cary Grant oder Humphrey Bogart aussahen. 11 In Phase II wurden Polizisten und FBI-Leute in den Filmen als Düngemittelvertreter dargestellt, aber immer noch von Humphrey Bogart und Cary Grant gespielt. Das verwirrte die Öffentlichkeit insofern, als nunmehr Düngemittelvertreter und finstere harte Männer im Trenchcoat für Geheimdienstleute gehalten wurden. In Wirklichkeit hatten Hoover und seine Nachfolger zu jener Zeit meistens Chinesen unter Vertrag, die in Wäschereien arbeiteten. Wie jeder weiß, der seinen Anzug jemals in die Wäscherei gebracht hat, steckt aufgrund eines unabänderlichen Gesetzes genau jener Zettel in einer Anzugtasche, auf dem all die Informationen stehen, die man nicht in fremden Händen zu sehen wünscht. Mit dem Aufkommen der elektrischen Waschmaschinen in den vierziger Jahren lief allerdings auch Phase II aus, und die Filmleute kehrten in einer Renaissance zu den harten Typen zurück. In dieser dritten Phase, die nicht ganz erfolgreich verlief, wusste nicht einmal der Chef des FBI, wer eigentlich für ihn arbeitete. In Wirklichkeit arbeitete zu jener Zeit überhaupt niemand für die Geheimdienste. Die Agentenberichte wurden von einem fehlgeleiteten Verwaltungsangestellten der Steuerbehörde verfasst, der sie zu einem Großteil aus Jerry-Cotton-Romanen übernahm. Das Gesetz der Wahrscheinlichkeit sorgte dennoch für einige nette Erfolge zu Kriegszeiten.
Phase IV setzte Ende der fünfziger Jahre ein. Mittlerweile sahen Polizisten und Geheimdienstleute in amerikanischen Filmen wie derDurchschnittsbürger aus, was aber beim Publikum auf Desinteresse stieß, weil in einer Art ironischer Umkehrung jetzt nahezu jeder Amerikaner für FBI und CIA tätig war und kaum Zeit für Kinobesuche hatte.
Phase V, die jetzige, lässt der Filmindustrie völlig freie Hand und die FBI- und CIA-Agenten tragen wieder Sonnenbrillen und Trenchcoats, weshalb sie kein Mensch für das hält, was sie sind. Ihre Anonymität ist nahezu vollständig. Deshalb lächelten die Zollbeamten in Nürnberg auch nur ungläubig, als etwa dreißig gleich gekleidete Männer und Frauen einer Sondermaschine entstiegen und ihre Koffer nicht
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