Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten
Hilfe dieser Flügel geflogen sei, hätte ich doch vier Punkte berührt, die aus dem Blickwinkel meiner alltäglichen Wahrnehmung für mich unerreichbar gewesen seien. Ich fing an, meine Sachen zu packen, um bald aufzubrechen. Don Genaro half mir, mein Notizbuch verstauen. Er legte es zuunterst in meine Tasche. »Da wird's es warm und gemütlich haben«, sagte er augenzwinkernd. »Du kannst beruhigt sein, es wird sich keinen Schnupfen holen.«
Dann aber schien Don Juan es sich mit meiner Abreise anders zu überlegen und fing an über mein Erlebnis zu sprechen. Ganz automatisch versuchte ich, Don Genaro meine Aktentasche aus der Hand zu reißen, aber er ließ sie fallen, bevor ich sie berührt hatte. Don Juan wandte mir, während er sprach, den Rücken zu. Ich schnappte mir die Tasche und suchte hastig nach meinem Notizbuch. Don Genaro hatte es wirklich so gut verstaut, daß ich es kaum zu fassen kriegte; schließlich zog ich es hervor und fing an mitzuschreiben. Don Juan und Don Genaro starrten mich an.
»Du bist miserabel in Form«, sagte Don Juan lachend. »Du klammerst dich an dein Notizbuch wie ein Säufer an die Flasche.«
»Wie eine liebende Mutter an ihr Kind«, japste Don Genaro. »Wie ein Priester an das Kruzifix«, steuerte Don Juan bei. »Wie eine Frau an ihr Höschen«, schrie Don Genaro. Und so fiel ihnen ein Vergleich um den anderen ein, während sie mich unter schallendem Gelächter zu meinem Auto geleiteten.
3.Teil: Die Erklärung der Zauberer
Drei Zeugen des Nagual
Nach Hause zurückgekehrt, stand ich wieder einmal vor der Aufgabe, meine Feldnotizen zu ordnen. Je öfter ich die Ereignisse rekapitulierte, desto eindringlicher wurde das, was Don Juan und Don Genaro mich hatten erleben lassen. Ich stellte aber fest, daß meine übliche Reaktion, nämlich mich in Bestürzung und Furcht über das, was ich durchgemacht hatte, monatelang gehenzulassen, diesmal nicht so heftig war wie in der Vergangenheit. Verschiedene Male versuchte ich vorsätzlich, wie ich es früher getan hatte, mich in Spekulationen und sogar in Selbstmitleid zu ergehen; aber irgend etwas fehlte diesmal. Ich hatte auch vorgehabt, mir eine Reihe von Fragen aufzuschreiben, die ich Don Juan, Don Genaro oder sogar Pablito vorlegen wollte. Das Projekt scheiterte aber, noch bevor ich damit begonnen hatte. Irgend etwas in mir selbst hinderte mich daran, mich auf Fragen und Grübeleien einzulassen.
Ich hatte nicht gerade den Plan, Don Juan und Don Genaro wieder aufzusuchen, aber andererseits schreckte ich auch nicht vor dieser Möglichkeit zurück. Eines Tages aber, ohne daß ich es mir lange überlegt hätte, spürte ich einfach, daß es Zeit war, sie wieder zu besuchen.
Immer wenn ich mich in früheren Jahren bereit machte, nach Mexiko zu fahren, hatte ich das Gefühl gehabt, daß es tausenderlei wichtige, dringende Fragen gab, die ich Don Juan stellen wollte; diesmal belastete mich nichts dergleichen. Es war, als ob die Überarbeitung meiner Notizen die Vergangenheit für mich abgeschlossen und mich für das Hier und Jetzt der Welt von Don Juan und Don Genaro vorbereitet hätte. Ich brauchte nur ein paar Stunden zu warten, bis Don Juan mich auf dem Marktplatz einer kleinen Stadt in den Bergen Zentralmexikos »fand«. Er begrüßte mich sehr herzlich und rückte dann mit einem Vorschlag heraus. Bevor wir zu Don Genaro fahren würden, wolle er, meinte er, gern Don Genaros Lehrlingen, Pablito und Nestor, einen Besuch abstatten. Als ich vom Highway abbog, ermahnte er mich, besonders sorgfältig auf irgendwelche ungewöhnlichen Erscheinungen am Straßenrand oder auf der Straße selbst zu achten. Ich bat ihn um genauere Anweisungen.
»Das geht nicht«, sagte er. »Das Nagual braucht keine genauen Anweisungen.«
Ich reagierte ganz automatisch und verlangsamte die Fahrt. Er lachte laut und bedeutete mir mit einer Handbewegung, ich solle weiterfahren.
Als wir uns der Stadt näherten, wo Pablito und Nestor wohnten, sagte Don Juan, ich solle anhalten. Mit einer fast unmerklichen Kopfbewegung wies er mich auf eine Gruppe mäßig hoher Felsen am linken Straßenrand hin. »Dort ist das Nagual«, flüsterte er.
Es war niemand zu sehen. Ich hatte erwartet. Don Genaro zu erblicken. Ich schaute noch einmal zu den Felsblöcken hinüber und suchte dann die Umgebung ab. Auch dort war niemand. Ich strengte meine Augen an, um irgend etwas zu entdecken, ein kleines Tier, ein Insekt, einen Schatten oder eine sonderbare Gesteinsformation - irgend etwas
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