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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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furchtbarer Verdacht. Spielten Don Juan und Don Genaro mir etwa einen Streich? Einen Augenblick lang packte mich die nackte Angst. Aber dann rastete irgend etwas in meinem Innern ein, und sofort wurde ich wieder ruhig. Ich wußte ja, daß Pablito und Nestor ihr Verhalten am Vorbild von Don Genaro und Don Juan ausrichteten. Ich selbst hatte schon festgestellt, daß ich mich immer mehr wie die beiden benahm.
    Pablito sagte, daß es ein Glück für Nestor sei, einen GeistFänger zu haben, und daß er selbst keinen besitze.
    »Was sollen wir hier tun?« fragte ich Pablito. Nestor antwortete, als ob ich die Frage an ihn gerichtet hätte. »Genaro hat mir gesagt, wir müssen hier warten, und solange wir warten, sollen wir lachen und uns vergnügen«, sagte er. »Wie lange, glaubst du. müssen wir noch warten?« fragte ich. Er antwortete nicht, sondern schüttelte den Kopf und schaute Pablito an, als wolle er die Frage an ihn weitergeben. »Keine Ahnung«, sagte Pablito.
    Dann verwickelten wir uns in ein lebhaftes Gespräch über Pablitos Schwestern. Nestor zog ihn wegen seiner ältesten Schwester auf und meinte, sie habe einen so bösen Blick, daß sie mit den Augen Läuse knacken könnte. Er sagte, Pablito habe Angst vor ihr, denn sie sei so stark, daß sie ihm einmal in einem Wutanfall ein Büschel Haare ausgerissen habe, als ob es Hühnerfedern wären.
    Pablito gab zu. daß seine älteste Schwester wohl ein Biest gewesen sei, aber dann habe das »Nagual« ihr den Kopf zurechtgesetzt. Nachdem er mir die Geschichte erzählt hatte, wie sie wieder zur Vernunft gebracht worden war, erkannte ich, daß Pablito und Nestor niemals Don Juan beim Namen nannten, sondern ihn als das »Nagual« bezeichneten. Anscheinend hatte Don Juan in Pablitos Leben eingegriffen und alle seine Schwestern dazu gebracht, ein harmonischeres Familienleben zu führen. Nachdem das »Nagual« sie sich vorgeknöpft habe, sagte Pablito, seien sie wie Heilige geworden. Nestor wollte wissen, was ich mit meinen Aufzeichnungen vorhätte. Ich erklärte den beiden meine Arbeit. Ich hatte das seltsame Gefühl, daß sie sich wirklich für meine Ausführungen interessierten, und schließlich hielt ich ihnen einen gelehrten Vortrag über Anthropologie und Philosophie. Ich kam mir komisch vor und wollte aufhören, aber irgendwie war ich so in Fahrt gekommen, daß ich mich nicht kurz fassen konnte. Ich hatte den beunruhigenden Eindruck, daß die beiden - wie auf Verabredung - mich zu dieser weitschweifigen Erklärung nötigten. Sie hielten die Augen starr auf mich gerichtet. Anscheinend wurde ihnen nicht langweilig dabei. Ich war gerade mitten im Dozieren, als ich wie von weitem den »Ruf des Nachtfalters« hörte. Mein Körper erstarrte, und ich beendete meinen Satz nicht mehr. »Das Nagual ist da«, sagte ich mechanisch. Nestor und Pablito wechselten einen Blick, aus dem mir die nackte Angst zu sprechen schien, und sprangen neben mich, so daß sie mich flankierten. Ihre Münder standen offen. Sie sahen aus wie verängstigte Kinder. Dann hatte ich eine unbegreifliche Sinneswahrnehmung. Mein linkes Ohr fing an sich zu bewegen. Irgendwie wackelte es ganz von selbst. Es drehte meinen Kopf buchstäblich um neunzig Grad, bis ich - wie mir schien - nach Osten schaute. Mein Kopf neigte sich leicht nach rechts. In dieser Haltung konnte ich das volle, pochende Geräusch des »NachtfalterRufs« deutlich hören. Es klang wie von weit her, aus nordöstlicher Richtung. Sobald ich einmal die Richtung festgestellt hatte, nahm mein Ohr eine unglaubliche Fülle von Geräuschen auf. Ich konnte aber nicht erkennen, ob es Erinnerungen an Geräusche waren, die ich zuvor einmal gehört hatte, oder tatsächlich Geräusche, die im Augenblick entstanden. Die Stelle, wo wir uns befanden, lag am zerklüfteten Westhang einer Gebirgskette. Nach Nordosten gab es Wälder und mit Gebirgssträuchern bestandene Flecken. Mein Ohr fing ein Geräusch auf, das aus dieser Richtung kam und sich anhörte, als ob eine schwere Masse über das Gestein stapfte. Nestor und Pablito reagierten entweder auf mein Verhalten, oder auch sie hörten dieselben Geräusche. Ich hätte sie gern gefragt, aber ich wagte nicht zu sprechen; vielleicht gelang es mir auch nur nicht, mein konzentriertes Lauschen zu unterbrechen. Als das Geräusch lauter wurde und näherkam, schmiegten Nestor und Pablito sich von beiden Seiten an mich. Nestor schien am stärksten beeindruckt; sein Körper zitterte unkontrolliert. Irgendwann fing

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