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Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten

Titel: Don Juan 04 - Der Ring der Kraft. Don Juan in den Städten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Herausforderung für mich«, sagte er. »Eine Herausforderung, so schwierig, wie es für dich wäre. Sandalen und einen Poncho zu tragen. Doch du hast es nie nötig gehabt, derlei als Herausforderung anzunehmen. In meinem Fall ist es anders. Ich bin ein Indianer.« Wir schauten uns an. Als stumme Frage zog er die Brauen hoch, als wolle er meine Meinung hören. »Der grundlegende Unterschied zwischen einem normalen Menschen und einem Krieger ist, daß der Krieger alles als Herausforderung annimmt«, fuhr er fort, »während der normale Mensch alles entweder als Segen oder als Fluch auffaßt. Die Tatsache, daß du heute hier bist, zeigt mir, daß du die Gewichte zugunsten der Lebensweise eines Kriegers verschoben hast.«
    Sein Blick machte mich nervös. Ich wollte aufstehen und weitergehen, aber er hieß mich, sitzen zu bleiben. »Hier bleibst du sitzen, ohne Ausflüchte, bis wir fertig sind«, sagte er gebieterisch. »Wir warten auf ein Omen. Ohne dies können wir nicht weitermachen, denn es genügt nicht, daß du mich gefunden hast, wie es auch nicht genügte, daß du damals Genaro in der Wüste gefunden hast. Deine Kraft muß sich sammeln und ein Zeichen geben.«
    »Ich ahne nicht, was du willst«, sagte ich.
    »Ich habe etwas durch diesen Park schleichen sehen«, sagte er.
    »War es der Verbündete?«
    »Nein, der war es nicht. Wir müssen also hier sitzen bleiben und herausfinden, was für ein Omen deine Kraft herbeiziehen wird.«
    Dann forderte er mich auf, ihm ausführlich zu berichten, wie ich die Empfehlungen ausgeführt hätte, die Don Genaro und er mir für meine alltägliche Welt und meine Beziehungen mit anderen Menschen gegeben hatten. Ich wurde etwas verlegen. Er zerstreute meine Bedenken mit dem Argument, daß meine persönlichen Angelegenheiten nichts Privates seien, weil sie eine Obliegenheit der Zauberei darstellten, in der er selbst und Don Genaro mich förderten. Ich bemerkte scherzhaft, daß diese Obliegenheit der Zauberei mein Leben ruiniert habe, und berichtete dann von meinen Schwierigkeiten, meine alltägliche Welt beisammenzuhalten.
    Ich sprach sehr lange. Don Juan lachte über meinen Bericht, bis ihm Tränen über die Wangen rollten. Immer wieder schlug er sich auf die Schenkel; diese Geste, die ich Hunderte Male bei ihm gesehen hatte, wirkte eindeutig fehl am Platz, wenn es auf den Bügelfalten eines Anzugs geschah. Ich war voller Befürchtungen, die ich loswerden mußte. »Dein Anzug erschreckt mich mehr als alles andere, was du mit mir angestellt hast«, sagte ich.
    »Du wirst dich dran gewöhnen«, sagte er. »Ein Krieger muß beweglich sein und sich harmonisch mit der ihn umgebenden Welt verändern, sei es die Welt der Vernunft oder die Welt des Willens.
    Der gefährlichste Moment dieser Veränderung tritt immer dann ein, wenn der Krieger feststellt, daß die Welt weder das eine noch das andere ist. Ich mußte lernen, daß die einzige Möglichkeit, diesen entscheidenden Wechsel zu überstehen. darin besteht, daß man bei seinen Handlungen so tut. als glaubte man. Mit anderen Worten, das Geheimnis eines Kriegers ist, daß er glaubt, ohne zu glauben. Aber natürlich kann der Krieger nicht einfach sagen, er glaubt, und es damit bewenden lassen. Das wäre zu leicht. Einfach glauben, das würde ihn von der Verpflichtung entbinden, seine Situation zu überprüfen. Immer wenn ein Krieger sich darauf einlassen muß, zu glauben, dann tut er es als freie Entscheidung, als Ausdruck seiner innersten Wahl. Ein Krieger glaubt nicht, ein Krieger muß glauben.«
    Er starrte mich sekundenlang an, während ich in meinem Notizbuch schrieb. Ich schwieg still. Ich konnte nicht sagen, daß ich den Unterschied verstanden hätte, aber ich wollte nicht argumentieren oder Fragen stellen. Ich wollte darüber nachdenken, was er gesagt hatte, aber meine Gedanken wurden abgelenkt, als ich mich umschaute. Auf der Straße hinter uns bildeten hupende Autos und Busse eine lange Schlange. Am Rande des Parks, etwa zwanzig Meter entfernt, seitlich von der Bank, auf der wir saßen, stand eine Gruppe von etwa sieben Leuten, einschließlich dreier Polizisten in hellgrauen Uniformen, über einen Mann gebeugt, der reglos im Gras lag. Anscheinend war er betrunken oder ernstlich krank. Ich warf Don Juan einen Blick zu. Auch er hatte zu dem Mann hinübergeschaut. Ich sagte ihm, daß ich aus irgendeinem Grund nicht in der Lage sei, mir klarzumachen, was er eben gesagt hatte.
    »Ich möchte keine Fragen mehr stellen«, sagte ich.

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