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Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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stellen - in der Hoffnung, daß ihre Antworten mir helfen würden. »Bei diesem Geräusch kann ich dir nicht helfen«, sagte sie. Plötzlich spürte ich ein schreckliches Unbehagen. Ich sagte, daß ich so sehr an den Umgang mit Don Juan gewöhnt sei und daß ich ihn jetzt mehr denn je brauchte, um mir alles zu erklären. »Du vermißt den Nagual?«
    »Ja«, sagte ich. »Und erst jetzt, wo ich in seine Heimat zurückgekehrt bin, ist mir klargeworden, wie sehr ich ihn vermisse.«
    »Du vermißt ihn, weil du noch immer an deiner menschlichen Form festhältst«, sagte sie und kicherte, als ob sie sich über meine Traurigkeit lustig machen wollte. »Vermißt du ihn denn nicht, Gorda?«
    »Nein, ich nicht. Ich bin er. All meine Leuchtkraft ist verändert. Wie könnte ich etwas vermissen, das ich selbst bin?«
    »Ist deine Leuchtkraft jetzt anders?«
    »Ein Mensch, oder überhaupt jedes lebende Geschöpf, hat ein blaßgelbes Leuchten. Tiere sind gelblicher, Menschen sind eher weiß. Ein Zauberer aber leuchtet bernsteinfarben, wie durchsichtiger Honig im Sonnenlicht. Manche Zauberinnen sind grünlich. Diese, so sagte der Nagual, sind die Stärksten und Schwierigsten.«
    »Welche Farbe hast du?«
    »Bernsteinfarben, genau wie du und die andren. So jedenfalls sagten Genaro und der Nagual. Ich selbst habe es nie gesehen. Aber ich habe alle anderen gesehen. Wir alle sind bernsteinfarben, und wir alle — du ausgenommen - haben die Form eines Grabsteins. Gewöhnliche Menschen sind wie Eier geformt. Deshalb nannte der Nagual sie leuchtende Eier. Die Zauberer verändern nicht nur die Farbe ihres Leuchtens, sondern auch ihre Form. Wir sind wie Grabsteine, nur eben an beiden Enden abgerundet.«
    »Bin ich noch immer wie ein Ei geformt, Gorda?«
    »Nein, du bist wie ein Grabstein geformt, nur daß du einen häßlichen dunklen Fleck in der Mitte hast. Solange du diesen Fleck hast, wird du nicht fliegen können, wie die Zauberer fliegen, wie ich letzte Nacht für dich geflogen bin. Es wird dir nicht mal gelingen, deine menschliche Form loszuwerden.« Ich geriet in einen heftigen Widerstreit - weniger mit ihr als mit mir selbst. Ich ließ mich nicht davon abbringen, daß ihre Auffassung, wie man diese angebliche Vollständigkeit erreichen könne, einfach widersinnig war. Ich sagte ihr, sie könne mich unmöglich davon überzeugen, daß man sich von den eignen Kindern abwenden müsse, nur um das allerunbestimmteste Ziel zu verfolgen: nämlich in die Welt des Nagual einzugehen. Ich war so sehr davon überzeugt, recht zu haben, daß ich mich hinreißen ließ und sie mit harten Worten anschrie. Sie nahm mir meinen Wutausbruch keineswegs übel.
    »Nicht jeder muß das tun«, sagte sie. »Nur Zauberer, die in die andere Welt eingehen wollen. Es gibt viele gute Zauberer, die sehen und doch unvollständig sind. Vollständig werden, das ist nur etwas für uns Tolteken.
    Nimm zum Beispiel Soledad: sie ist die beste Hexe, die du finden kannst, und doch ist sie unvollständig. Sie hatte zwei Kinder; eines war ein Mädchen. Zum Glück für Soledad starb ihre Tochter. Der Nagual sagte, daß der Schneid des Geistes eines Menschen, der stirbt, zu den Gebern zurückkehrt, und das heißt, daß der Schneid wieder auf die Eltern übergeht. Wenn die Geber tot sind und der Betreffende Kinder hat, dann geht der Schneid auf dasjenige Kind über, das vollständig ist. Und falls alle Kinder vollständig sind, geht der Schneid an jenes, das die meiste Kraft hat - nicht notwendig an das beste oder geschickteste. Als zum Beispiel Josefinas Mutter starb, ging ihr Schneid an die Verrückteste von allen, Josefina. Er hätte doch an ihren Bruder gehen können, der ein schwer arbeitender, verantwortungsbewußter Mann ist, aber Josefina hat mehr Kraft als ihr Bruder. Soledads Tochter starb, ohne Kinder zu hinterlassen, und so bekam Soledad einen Auftrieb, der ihr Loch zur Hälfte schloß. Ihre einzige Hoffnung, es vollständig zu schließen, ist Pablitos Tod. Und in gleicher Weise kann Pablito sich nur einen Auftrieb erhoffen, wenn Soledad stirbt.«
    Ich ließ sie nicht im unklaren darüber, daß das, was sie da sagte, mir widerwärtig und schrecklich erschien. Sie pflichtete mir bei. Sie gab zu, daß auch sie einmal geglaubt hatte, diese Auffassung der Zauberer sei mit das Gemeinste, was man sich vorstellen könne. Sie sah mich mit leuchtenden Augen an. Ihr Grinsen hatte einen boshaften Zug.
    »Der Nagual hat mir gesagt, daß du alles verstehst, aber nicht danach handeln

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