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Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft

Titel: Don Juan 05 - Der zweite Ring der Kraft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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willst«, sagte sie leise.
    Ich fing wieder mit meinen Einwänden an. Was der Nagual über mich gesagt hatte, so erklärte ich ihr, habe nicht mit meiner Abneigung gegen die Auffassung zu tun, über die wir gesprochen hatten. Ich erklärte, daß ich Kinder liebte und daß ich die größte Achtung vor ihnen hätte und tiefes Mitleid mit ihrer Hilflosigkeit in dieser furchtbaren Welt um sie her empfände. Ich könne mir nicht vorstellen, einem Kind etwas zuleide zu tun - aus keinem erdenklichen Grund.
    »Der Nagual hat das Gesetz nicht gemacht«, sagte sie. »Das Gesetz wurde irgendwo dort draußen gemacht, nicht von einem Menschen.«

Ich rechtfertigte mich und sagte, ich sei ja gar nicht böse auf sie oder den Nagual, sondern ich wolle die Frage ganz abstrakt erörtern, weil ich ihren Wert nicht einsehen könne. »Der Wert liegt darin, daß wir all unsren Schneid, unsre Kraft, unsre Vollständigkeit brauchen, um in jene andere Welt einzugehen«, sagte sie. »Ich war einmal eine religiöse Frau. Ich könnte dir erzählen, was ich damals dauernd wiederholte, ohne zu wissen was ich überhaupt meinte. Ich wollte, daß meine Seele ins Himmelreich käme. Das will ich noch immer, aber ich bin jetzt auf einem anderen Weg. Die Welt des Nagual ist das himmlische Reich.«
    Diesem religiösen Vergleich mußte ich schon aus Prinzip widersprechen. Ich hatte mich bei Don Juan daran gewöhnt, nie länger auf dieses Thema einzugehen. Sie aber erklärte mir ganz ruhig, sie sähe keinen Unterschied zwischen unserem Lebensstil und dem von Nonnen und Priestern. Wahre Nonnen und Priester, so betonte sie, seien nicht nur vollständig, sondern schwächten sich auch nicht durch Geschlechtsverkehr.
    »Das ist auch der Grund, sagte der Nagual, warum es nie gelingen wird, sie auszurotten, ganz gleich, wer es versuchen mag, sie auszurotten«, sagte sie. »Ihre Verfolger sind immer leer; sie haben nicht die Energie, die echte Nonnen und Priester haben. Ich liebte den Nagual dafür, daß er das sagte. Ich werde immer etwas für Nonnen und Priester übrig haben. Wir sind ähnlich. Wir haben die Welt aufgegeben, und doch leben wir mitten in ihr. Priester und Nonnen könnten großartige fliegende Zauberer sein, wenn jemand ihnen sagen würde, daß sie das können.« In mir stieg die Erinnerung auf, wie mein Vater und mein Großvater die mexikanische Revolution bewundert hatten. Vor allem bewunderten sie den Versuch, den Klerus auszurotten. Mein Vater hatte diese Bewunderung von seinem Vater geerbt, und ich hatte sie von beiden übernommen. Das war so eine Art erbliches Band bei uns. Und diese erbliche Bindung war mit das erste, was Don Juan in meiner Persönlichkeit erschütterte. Einmal hatte ich Don Juan im Ton ureigenster Überzeugung etwas erzählt, was ich mein Lebenlang gehört hatte, nämlich daß der große Trick der Kirche darin bestünde, uns in Unwissenheit zu halten. Don Juan machte ein sehr ernstes Gesicht. Mir war, als hätten meine Worte ihn ins Innerste getroffen. Ich mußte unwillkürlich an die jahrhundertelange Ausbeutung und Unterdrückung denken, die die Indianer hatten ertragen müssen. »Diese Dreckschweine!« rief er. »Sie haben mich in Unwissenheit gehalten - und dich auch.«
    Ich erfaßte sofort seine Ironie, und wir mußten beide lachen. Ich hatte diese Auffassung eigentlich nie überprüft. Ich glaubte nicht daran, aber ich wußte auch nichts Besseres, um sie zu ersetzen. Ich erzählte Don Juan von meinem Großvater und meinem Vater und von ihren Ansichten über Religion, die sie als Liberale vertraten. »Es kommt gar nicht darauf an, was irgendwer sagt oder tut«,
    meinte er. »Du mußt selbst ein makelloser Mensch sein. Der Kampf findet genau hier drin statt.« Er klopfte mir sacht auf die Brust.
    »Hätten dein Großvater und dein Vater versucht, makellose Krieger zu sein«, fuhr Don Juan fort, »dann hätten sie nicht die Zeit für so kleinliche Kämpfe gehabt. Wir brauchen all die Zeit und all die Energie, die wir haben, um die Dummheit in uns zu besiegen. Das ist das einzige, was zählt. Alles andre ist unwichtig. Nichts von alledem, was dein Großvater oder dein Vater über die Kirche sagten, trug zu ihrem Wohl bei. Wenn du dagegen ein makelloser Krieger bist, dann gibt dies dir Leben, Jugend und Kraft. Es ist also gut, wenn du dich weise entscheidest.« Ich hatte mich für die Makellosigkeit und Einfachheit eines Kriegerlebens entschieden. Aber gerade wegen dieser Entscheidung, so meinte ich, mußte ich la Gordas

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