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Don Juan de la Mancha

Don Juan de la Mancha

Titel: Don Juan de la Mancha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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ersten Mal Blickkontakt mit dieser Frau. Dann fiel die Taxitür zu.
    Ein Pfiff, dann saß ich im nächsten Taxi.
    Folgen Sie diesem Wagen, hätte ich fast gesagt. Avenue Montaigne, sagte ich, Hotel Plaza Athénée.
    Wird schwierig, sagte der Taxifahrer.
    Warum?
    Die Absperrungen.
    Welche Absperrungen?
    Und die Ausschreitungen.
    Der Taxifahrer wendete sich zu mir um und schaute mich an. Er sah aus wie Luis de Funès, der soeben erfahren hatte, dass er unheilbaren Krebs hat. Ein lustiges Gesicht, das unter Schock stand. Dann sagte er etwas über Jean-Jacques Rousseau und Jean Jaurès und was ich davon halte.
    Wie bitte?, sagte ich. Das war ein Taxi und nicht die Académie Française, ich wollte, dass er endlich losfährt und nicht über Rousseau diskutiert, ich verstand nichts mehr.
    Er machte eine Handbewegung, als würde er ein Wort aus dem Mund nehmen und wegwerfen, drehte sich um, startete.
    Versuchen wir es, sagte er.
    Ich rief nochmals Alice an, ihr Handy war immer noch ausgeschaltet. Dann erst kam mir der Gedanke, dass der Fahrer vielleicht eine rue oder avenue Rousseau gemeint hatte und die Route diskutieren wollte. Ich schaute aus dem Seitenfenster, sah, dass wir ein anderes Taxi überholten. Darin die Hoffnungs-Alice vom Flughafen. Sie telefonierte. Sie schien zu schreien. Dann waren wir vorbei. Ich versuchte nochmals, Alice zu erreichen. Wieder die Computerstimme. Was war los? Alice hatte versprochen, mich abzuholen, sie hat es aus irgendwelchen Gründen nicht geschafft, aber warum dreht sie ihr Handy ab? Merde!, sagte ich.
    Sie sagen es, sagte der Taxifahrer, das hier ist die Hölle, hier kocht die Scheiße. Er riss den Wagen herum, fuhr in eine Seitengasse, fuhr auf den Gehsteig, was war da los? Menschen schlugen auf das Autodach, ich sah durch das Fenster schreiende Gesichter, der Fahrer gab Gas, hupte, bog gleich wieder ab, schlängelte sich durch Gässchen, kam wieder auf eine breitere Straße, auf der Menschen kreuz und quer liefen. Er fuhr kurvend und schlingernd und immer wieder das Lenkrad verreißend, wenn Einzelne oder kleine Gruppen auf die Straße sprangen, und fluchte ununterbrochen. Plötzlich blieb er stehen. Ich sah aus dem Fenster, die Straße schien ruhig. Der Fahrer sagte: Hier steigen Sie aus!
    Wieso? Wo bin ich?
    Nehmen Sie die Metro, sagte er, hier ist eine Station. Wir kommen nicht durch. Sinnlos!
    Aber –
    Nehmen Sie die Metro! Viel Glück. Zweiundvierzig Euro.
    Wo bin ich hier?
    In der Scheiße, Monsieur.
    Ich dachte, ich bin in Paris.
    Paris gibt es nicht mehr, Monsieur. Zweiundvierzig Euro.
    Auf der anderen Straßenseite sah ich ein Café. »Les trois frères«. Alle Menschen werden Brüder, oder nur drei? Ich musste etwas trinken. Und noch einmal versuchen, Alice zu erreichen. Erst im Café merkte ich, wie stark ich schwitzte.

Ich hatte Angst. Weil die Stimmung so bedrohlich war und weil ich nichts verstand. Es waren nur Männer in diesem Café. Sie schauten misstrauisch. Und ich misstraute ihnen. Sie sahen »ausländisch« aus. Ich selbst war doch hier der Ausländer. Aber ich empfand die Männer in diesem Café als »ausländisch«. Auf unangenehme Art, das heißt, nicht hierher gehörend. Was war mit mir los? Ich hatte Einheimischen-Allüren in der Fremde, die sich als eine andere als die erwartete Fremde zeigte. Ein Mann telefonierte. Er beobachtete mich. Ich nahm mein Handy aus der Tasche und rief wieder Alice an. Die Computerstimme.
    Mir gingen die Männer, die da standen, auf die Nerven. Schon allein, weil sie standen. Ich war der Einzige, der in diesem Café saß. Sie standen und schauten. Sie redeten nicht. Es war unbegreiflich: Da standen Männer beisammen und sie redeten nicht. Sie schauten. Einer nickte. Warum? Vielleicht weil sein Nebenmann telefonierte. Nebenmann, seltsames Wort. Sie alle hier waren seltsam, unappetitlich. So prall hineingesteckt in ihre zu kleinen Hemden, die vor ihren Bäuchen fast platzten, und die zu engen Hosen, die sich um ihre Gesäße und Oberschenkel spannten, abgewetzt und glänzend. Wieso glänzte der Hosenstoff auf ihren Ärschen, wenn sie nie saßen? Da war so viel quellende Körperlichkeit, Fleisch und Schweiß und braune oder weiße Socken und dreckige Schuhe. Wenn zwei oder drei gelacht, angeregt geredet hätten, vielleicht hätte ich das Unappetitliche als Menschliches gesehen. Aber so war es widerlich. Ein primitiver Volksstamm, keine Pariser. Ich wandte mich ab. Sah durch die große Glasscheibe hinaus auf die Straße. Da war ein

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