Don Quixote von la Mancha: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
singst, ich sterbe vor Hunger, wann du von Übersättigung träge und ohne Atem bist. Treue Diener müssen die Sorgen ihrer Herren teilen und ihre Empfindungen mitempfinden, wenigstens des Anstandes halber. Betrachte die Heiterkeit dieser Nacht, die Einsamkeit, in der wir uns befinden, welche uns einladet, zwischen unserem Schlafe doch eine Nachtwache einzuschieben. Stehe doch auf um Gottes willen, gehe ein wenig abseits von hier und gib dir mit edlem Gemüte und dankbarer Empfindung dreihundert oder vierhundert Hiebe, auf Abschlag derjenigen, die du zur Entzauberung der Dulcinea leisten mußt; mit sanften Bitten verlange ich dieses von dir, denn ich will mit dir nicht, wie neulich, wieder zum Handgemenge kommen, in welchem ich das Gewicht deiner Fäuste empfunden habe. Hast du dieses getan, so wollen wir den übrigen Teil der Nacht damit zubringen, daß ich meine Enthaltung besinge und du deine Treue, wodurch wir denn gleich unsere Schäferübungen anfangen können, die wir in unserem Dorfe fortsetzen wollen.«
»Gnädiger Herr«, antwortete Sancho, »ich bin kein Mönch, daß ich mitten aus dem Schlafe aufstehen und mich geißeln sollte, noch weniger will es mich gut dünken, daß man von den schrecklichen Schmerzen der Hiebe sich gleich wieder zur Musik bequemen könnte. Laßt mich schlafen und quält mich nicht damit, daß ich mich hauen soll, sonst will ich einen Schwur tun, daß ich niemals mein Kleid damit anrühre, geschweige mein Fleisch.«
»O verhärtete Seele! O Stallmeister ohne Gefühl! O schlecht angewandtes Brot und übel vergoltene Liebe, die ich dir erwiesen habe und noch erweisen wollte! Durch mich bist du Statthalter gewesen, und durch mich hast du die nächste Anwartschaft, Graf zu werden oder eine ähnliche Würde zu bekleiden, und die Erfüllung dieser Hoffnungen wird sich nicht länger als dieses Jahr verzögern, denn posttenebras spero lucem.«
»Das verstehe ich nicht«, versetzte Sancho; »ich verstehe nur so viel, daß, solange ich schlafe, ich weder von Furcht noch von Hoffnung was weiß, weder von Mühseligkeit noch von Pracht, und gepriesen sei der, der den Schlaf erfunden hat, den Mantel, der alle menschlichen Sorgen zudeckt, das Essen, das den Hunger stillt, das Wasser, das den Durst vertreibt, das Feuer, das die Kälte erwärmt, die Kälte, die die Hitze mildert, und kurz, das allgemeine Geld, für welches alle Dinge gekauft werden können, die Wage und das Gewicht, welches den Schäfer und den König, den Dummen und den Verständigen gleichmacht. Ein einziges böses Ding hat der Schlaf, wie ich mir habe sagen lassen, daß er nämlich dem Tode so ähnlich sieht, denn zwischen einem Schlafenden und einem Toten ist nur ein geringer Unterschied.«
»Niemals habe ich dich, Sancho«, sagte Don Quixote, »so zierlich als jetzt sprechen hören, woraus man sehen kann, daß das Sprichwort recht hat, welches du manchmal anzuführen pflegst: nicht mit wem du geboren, sondern mit wem du geschoren.«
»Ei sieh da!« versetzte Sancho, »seht doch unseren gnädigen Herrn! Nun bin ich es wohl wieder, der Sprichwörter von sich gibt? Sie fallen Euch ja auch in größeren Brocken als mir aus dem Mund; doch muß wohl freilich unter den meinigen der Unterschied sein, daß Eure zur rechten Zeit und die meinigen zur Unzeit eintreffen; aber am Ende sind es doch alles Sprichwörter.«
So weit waren sie, als sie ein seltsames Geräusch und rauhes Getöse vernahmen, welches sich durch das ganze Tal verbreitete. Don Quixote stellte sich aufrecht und griff zum Degen, Sancho aber verschanzte sich unter dem Grauen, indem er zu seinen Seiten die zusammengebundenen Waffen und den Sattel seines Esels hinstellte, wobei er vor Furcht aber ebenso zitterte, wie Don Quixote verwundert war. Das Getöse nahm jeden Augenblick zu und näherte sich den beiden Furchtsamen, wenigstens war dies der eine, denn der Mut des anderen ist bekannt. Die Sache war, daß mehrere Menschen eine Herde von mehr als sechshundert Schweinen zum Verkaufe nach einem Jahrmarkte trieben, mit denen sie jetzt den Weg machten, und die solchen Lärm mit Grunzen und Schreien erregten, daß Don Quixote und Sancho davon betäubt wurden und nicht darauf fielen, was es sein möchte. In einem Trupp kam die große und grunzende Herde herbei, und ohne für die Würde des Don Quixote noch für den Sancho Achtung zu beweisen, liefen sie über die beiden weg, zerstörten das Bollwerk des Sancho und rissen nicht nur den Don Quixote um, sondern warfen noch
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