Donner: Die Chroniken von Hara 3
dass du dieses Geheimnis noch lange wirst hüten können?«, wollte er wissen.
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Wenn du uns auf die Schliche gekommen bist, muss ich bei den anderen auch damit rechnen.«
»Die Herrin Rona erträgt ihre Gegenwart aus irgendeinem Grund, und Shen schwirrt sogar ständig um sie herum. Ich nehme daher an, die Funken der beiden sind nicht mehr ganz so licht wie früher, oder?«
»Kann man vor dir eigentlich irgendwas verbergen?«, fragte ich grinsend zurück, um mich dann in ernstem Ton zu erkundigen: »Ändert diese Tatsache etwas für dich?«
»Du meinst, dass sich in ihrer Seele jetzt das Dunkel eingenistet hat? Nein. Ich weiß seit langer Zeit, dass das wenig bedeutet. Die Schreitenden, deren Seele als licht gilt, habe ich nämlich auch nicht fester ins Herz geschlossen als die Nekromanten. Deshalb jagen mir die beiden auch jetzt keine Furcht ein.«
»Da bist du eine seltene Ausnahme.«
»Ebenso wie du. Aber die anderen dürften sich unserer Sicht der Dinge kaum anschließen. Die Menschen nehmen nur das Dunkel wahr, wollen aber nicht genauer hingucken. Wenn die beiden Ritter erfahren …«
»Ich hoffe sehr, sie erfahren es nicht.«
»Ich auch. Aber sei auf alles gefasst. Und vermutlich wäre es besser, wenn du sie schonend darauf vorbereitest.«
»Mach du das, falls sich eine günstige Gelegenheit ergibt.«
Darauf antwortete Ga-nor nichts.
»Bist du sicher, dass wir die Berge bis zum Einbruch des Winters hinter uns bringen können?«
»Einfach wird es nicht sein«, räumte er ein. »Uns stehen schwierige Pässe in großer Höhe bevor. Wenn wir scheitern, dann dort.«
Ich nickte nur.
Wir ritten durch eine steinige Schlucht, in deren Mitte ein breiter Fluss dahintrieb. Er wies zahlreiche ruhige Buchten auf, führte grünes Wasser, am Grund schimmerte hellgrauer Sand. Die kümmerlichen Kiefern, deren Stämme sich verknotet zu haben schienen, krallten sich mit aller Kraft in den Basalt der Hänge. Vor uns erhob sich ein dreihöckriger, blendend weißer Gipfel über die sonst grau-braunen Berge.
»Gibt es über diesen Klotz da vorn einen Pass?«, wollte ich während einer Rast von Ga-nor wissen.
»Nein, soweit ich weiß, kommt man über diesen Riesen nicht hinüber. Wir umrunden ihn im Osten. Da verlaufen genügend Pfade.«
»Wie weit ist es noch bis zur Treppe des Gehenkten?«, fragte Kallen.
»Die haben wir bald erreicht.«
»Worauf warten wir dann noch?«, erkundigte sich Ghbabakh, der bis eben geschlummert hatte. »Bringwen wir das letzte Stück hinter uns.«
»Aus, du Hund!«, fiepte Yumi.
Bereits vor ein paar Minuten hatte ich einen Schwarm Vögel am Himmel erblickt, ihm aber keine Bedeutung beigemessen. Ein Fehler, wie sich jetzt herausstellte.
Die Biester fielen wie ein sommerlicher Wirbelsturm über uns her. Die Fangnetze dieser Geschöpfe setzten Ghbabakh, Shen, Luk und Mylord Rando sofort außer Gefecht. Ga-nor und ich konnten uns noch retten. Kallen zögerte jedoch, zur Seite zu springen, sodass auch ihn eines dieser leichten Netze mit den Gewichten an den Rändern erwischte.
Auf Ga-nor segelte ein weiteres golden schimmerndes Fangnetz herab, das er aber geschickt mit dem Schwert zerhackte.
»Rührt euch nicht«, erklang ein scharfer Befehl.
Über uns schwebte, gleichmäßig mit den weißen Flügeln schlagend, ein Dutzend Ye-arre in der Luft. Einer von ihnen bleckte die Zähne und wollte seine Lanze in mich hineinbohren, als mit einem Mal ein milchiger Schild zwischen uns aufloderte. Im nächsten Moment fiel der Ye-arre von einem Pfeil durchbohrt zu Boden. Das hielt einen seiner Kumpane allerdings nicht ab, sein Beil gegen mich zu schleudern. Der Schild schirmte mich jedoch auch diesmal sicher ab.
Plötzlich hagelte es dann von allen Seiten Pfeile, aus allen Richtungen erschallten Rufe, klatschten Flügel. Die Ye-arre stoben auseinander, vergaßen uns völlig – und stürzten sich auf ihre rotgeflügelten Artgenossen. Immer wieder krachten tote Ye-arre zu Boden, während weiße und rote Federn durch die Luft wirbelten. Die Beile pfiffen, die Klingen klirrten.
Aus Typhus’ Händen riss sich ein rubinroter Faden los, der sich um einen der feindlichen Bogenschützen wand und ihm die Flügel absäbelte.
»Die Roten rührt aber nicht an!«, brüllte Ga-nor, der gerade das Netz über Kallen auftrennte.
In einer anderen Lage hätte ich die ungewollte Komik dieses Ausrufs sicher gewürdigt, aber wenn vor dir ein Schild funkelt und Pfeile an dir
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