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Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Titel: Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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Tücken der Strecke beherrscht die Journalistin schlafwandlerisch.
Sie bringt ihren schwarzen Smart Cabrio souverän am Ende der kleinen Autoschlange
zum Stehen. Der Triebwagen kündigt sich mit einem schrillen Signalton an, bevor
er an der Halbschranke vorbeirauscht. Der Ton hallt im Kopf der Journalistin nach,
wie ein mächtiger Posaunenton. Der Engel schlägt erneut mit dem Flügel, und ein
diffuses Gefühl, plötzlich in der falschen Zeit zu sein, weht durch ihren Verstand.
Es ist wie eine Vision, als wäre die Vergangenheit eine unendliche Illusion, und
Traudl Dullweber säße neben ihr im Auto. Sie ist nicht das kleine Mädchen, sondern
eine erwachsene Frau, die den Tod und die Bomben überdauert hat.
    »Am Nachmittag
wurde die Bevölkerung über das Radio gewarnt. Mein Vater und ich sind in der Wohnung
geblieben, als das auf- und abschwellende Heulen der Sirenen einsetzte«, berichtet
Traudl sachlich und emotionslos. »Im April 1944 hatten wir das schon ein paar Mal
gemacht, es war wie ein verschworenes Spiel zwischen meinem Vater und mir. Ich hatte
furchtbare Angst vor dem dunklen Keller im Nachbarhaus, vor den vielen fremden Menschen
von der Straße, die dort dicht an dicht an den feuchten Wänden kauerten. Vater wusste
es, war immer ganz lieb, wenn ein Alarm begann: Du musst dich nicht fürchten, Traudl.
Hier oben sind wir genauso sicher wie da unten. Die Flugzeuge fliegen nur nach Schauendahl,
zum Fliegerhorst. Sie sind noch nie nach Husum gekommen. Dann setzte das Dröhnen
ein, das gewohnte Gebrumm der Royal Airforce Bomber, wurde lauter, zog unheilvoll
über uns hinweg. Die Explosionen in der Ferne waren zu hören, das Donnergrollen,
das die Luft erzittern und die Scheiben vibrieren ließ. Ich duckte mich unter die
Wolldecke auf dem Sofa, während der Vater am Fenster stand und mutig die Lichtstreifen
der Scheinwerfer am Himmel beobachtete. Plötzlich lag ein Pfeifen in der Luft, ein
Geräusch, das ich vorher noch nie gehört hatte, aber das mich unwillkürlich in Panik
versetzte. Die große Standuhr war stehengeblieben. Die folgenden Sekunden werde
ich nie vergessen, solange ich lebe. Es gab einen Schlag, der so gewaltig war, dass
er mir den Atem nahm. Gleichzeitig zerbarst das Wohnzimmer im Pulverqualm, die Wände
wurden pulverisiert und breiteten sich als Staubpilz über dem eingestürzten Haus
aus. Danach war jede weitere Sekunde zur Ewigkeit geworden. Ich konnte über mir
den Himmel sehen, Feuer prasselte stumm, Trümmer lagen im Hof, die Haustür mitten
auf der Straße, daneben eine Amsel, vom Luftdruck im Flug getötet. Danach war nur
noch weißes Licht …
     
    »Die Stimmung in der Bevölkerung
ist sehr zuversichtlich. Alles glaubt, wenn nur der harte Frost erst wieder nachlässt,
dann geht es los. Losgehen heißt – gegen England! Wie, das wissen wir in Husum alle
nicht.«
    Dieser Text
aus den Husumer Kriegschroniken, den sich Maria Teske in ihr Notizbuch geschrieben
hat, ist plötzlich wieder präsent. Der Flügel des Engels schlägt durch ihr Gedächtnis.
Die Schranken öffnen sich wieder, der Verkehr fährt an, und die erwachsene Traudl
Dullweber, die heute fast 70 Jahre alt gewesen wäre, kehrt in ihre Vergangenheit
zurück. Geblieben ist die nicht gestellte Frage an die kleine Traudl, warum die
ganze Nazivergangenheit in der nachfolgenden Generation immer schwerer wog, als
ihr kleines Kriegsleid und das der überlebenden deutschen Kriegskinder, die von
ihren Traumata bis in die heutige Zeit begleitet wurden und sie an die Kinder der
nächsten Generation weitergegeben haben.
    Maria Teske
sieht sich, als sie vier Jahre alt war. Draußen krachen die Böller der Silvesternacht,
Feuerwerk zerplatzt in bunten Lichtern, und die kleine Maria schreit vor Angst,
bis die Mutter hereinkommt und sich an ihr Bett setzt.
    »Dreh dich
zur Wand, Kind!«, sagt sie mit ruhiger Stimme. »Dann kannst du nichts sehen. Mach
einfach die Augen fest zu!«
    Die kleine
Maria macht, was man ihr sagt, ist erleichtert und überglücklich, dass die Mutter
jetzt bei ihr bleibt. Doch die Mutter geht zurück in das Wohnzimmer, aus dem lautes
Lachen und Gejohle herübertönt. Vorher bleibt sie kurz in der Tür stehen, dreht
sich noch einmal um und sagt bestimmt: »Du hast nichts gesehen.«
     
    *
     
    Swensen tritt in den Hotelflur.
In dem Moment geht direkt gegenüber Silvias Zimmertür auf, und Ove Toksvig steht
vor ihm, grinst etwas verlegen und wünscht ihm freundlich einen »Guten Morgen!«.
    »Goddag, Ove! Na, so was!

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