Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)

Titel: Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
Vom Netzwerk:
die Familie meiner
Großtante geschrieben. Darin wurde unter anderem auch die Nazivergangenheit aufgedeckt.
Die Zeitung habe ich meiner Mutter demonstrativ auf den Küchentisch gelegt. Ein
flüchtiges Hinschauen. Der Kommentar: Kind, musste das denn wirklich sein? Und sonst
keine weitere Frage. Stattdessen belanglose Gespräche über Alltägliches, letztendlich
nur Banalitäten.«
    »Wie hat
sich das angefühlt für dich?«
    »Ich war
total enttäuscht.«
    »Und? Hast
du ihr das gesagt?«
    »Nein, das
ging doch nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Keine Ahnung,
irgendwie kann ich das nicht.«
    »Wieso,
würde sie es nicht verstehen?«
    »Meine Eltern
sind nicht sehr gebildet. In meinem Elternhaus wurde nie über Literatur gesprochen,
gab es nicht ein einziges Buch, solange ich mich erinnern kann. Auch später nicht,
als ich schon lange dort ausgezogen war. Erst mit 14 Jahren bekam ich mein erstes
eigenes Buch geschenkt, nicht etwa von meinen Eltern, nein, ich bekam es von einer
Freundin. In meinem Elternhaus herrscht Desinteresse für Dinge, die sie nicht verstehen.
Und das gilt auch für Menschen, die anders sind als sie selbst. Ich glaube, sie
haben mich nie wirklich wahrgenommen. Ich weiß sogar, dass meine Eltern nicht einmal
wissen, was ich in meinem Beruf täglich mache. Ich habe einmal gehört, wie meine
Mutter zu den Nachbarn gesagt hat: Meine Tochter, die macht eine Zeitung.«
    »Kannst
du dich noch erinnern, warum du Journalistin geworden bist?«
    »Ich wollte
es nur zu etwas bringen, keine Bankangestellte sein, wie mein Vater, der sich hinter
Kundenschaltern abgerackert hat. Und schon gar nicht wollte ich Hausfrau werden,
wie meine Mutter. Ständig bemüht sein, bloß nicht auffallen. Ich wollte immer etwas
Kreatives machen, die Welt verändern, mir einen Namen machen. Das ist doch schließlich
ganz normal, das wollen doch alle oder?«
    »Und für
so etwas Normales hast du dich verausgabt?«
    »Ich wollte
auch die Welt verändern, sie besser machen.«
    »Dein Blutdruck
war bei einem Wert von 240!«
    »Man hätte
mich fast ermordet!«
    »Und du
hast weitergemacht, hast weiter versucht die Welt zu verändern, bis es nicht mehr
ging.«
    »Ich war
immer schon sehr diszipliniert. Wenn ich Ärger in der Schule hatte, sagte mein Vater
lapidar: Das hast du dir selbst eingebrockt, also sieh zu, wie du da wieder rauskommst.«
    »Und das
hast du dann getan?«
    »Ja klar!
…Ich glaube, ich war früher ein sehr braves Mädchen … Das fühlt sich gerade ganz
komisch an …«
    »Was fühlst
du gerade?«
    »Ich … ich
bin plötzlich ganz traurig.« Maria Teske hat plötzlich den Zugang zu ihren Worten
verloren und spürt gleichzeitig, dass ein alter Schmerz in ihrem Schweigen haust,
der endlich hinaus will. »Als ich klein war, ist mein Vater mit mir immer spazieren
gegangen, hat mir jeden Abend Märchen erzählt. Ich war seine kleine Prinzessin.
Ich durfte immer auf seinem Schoß sitzen, bis meine Schwester geboren wurde. Danach
hat er mich kaum noch beachtet, nur noch belehrt. Ich war plötzlich ›die Große‹.
Und dann hat er mir seine Zuneigung entzogen, weil ich selbstständig sein wollte.
Ich glaube, eigentlich wollte er nur, dass ich das brave Mädchen bleibe.«
    »Brave Mädchen
fragen nicht nach der Vergangenheit!«
    »Wahrscheinlich,
aber in meinem Leben gilt jetzt der Satz: Brave Mädchen kommen in den Himmel, die
anderen Mädchen kommen überall hin. Meine Mutter fühlt sich im Himmel, wenn nicht
über persönliche Dinge gesprochen wird. Manchmal denke ich, die Kriegszeit, die
meine Großeltern miterlebt haben, ängstigt meine Mutter noch heute. Jedenfalls hat
sie das Geheimnis bewahrt, mit dem sie doch gar nichts zu tun hatte. Sie muss es
als eine Bedrohung empfunden haben.«
    »Aber nicht
bewusst, Maria. Wenn, dann in ihrem Unterbewusstsein. Das gehört jetzt nicht zu
deiner Therapiestunde, aber es ist möglich, dass schreckliche Ereignisse im Krieg
immer noch als kollektives Geheimnis in Familien existieren. Es gibt psychologische
Studien darüber, dass nicht nur die Kriegsgeneration unter den Folgen ihrer Traumata
leidet, sondern dass es auch Verschiebungen in die zweite und dritte Generation
gibt.«
     
    Das flackernde Rot der Blinkanlage
stoppt auch Marias Gedanken. Der Sprung von der Vergangenheit in die Gegenwart ist
so unscheinbar wie der Flügelschlag eines Engels oder der Druck auf die Bremse ihres
Wagens. Die Bahngleise von St. Peter nach Husum kreuzen die A 5 in einer leichten
Kurve, doch die

Weitere Kostenlose Bücher