Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Fühler großer Insekten. Der Regen hatte den kompletten Hof geflutet: Genauso gut hätten sie in einem See parken können.
»Ist es o. k., wenn ich im Auto warte?« Lawn hatte kurz aus dem Fenster gesehen und dann begonnen, in ihrer Handtasche nach etwas zu suchen, von dem sie möglicherweise noch nicht genau wusste, was es sein könnte – bloß, dass es schwer genug zu finden sein musste.
Siebeneisen warf ihr einen Blick zu, den er für sich in die Rubrik »vernichtend« einordnete. Und von dem er hoffte, das er genau so gewertet werden würde. Er beugte sich nach vorne zum Fahrer.
»Sind Sie sicher, dass wir hier richtig sind? Wir wollten zum ›Zentralbüro Wolle und Molkereierzeugnisse‹ …«
Der Fahrer nickte. Er zeigte auf den Eingang des Gebäudekomplexes. Nun gut, dachte Siebeneisen. Er öffnete die Tür und stieg mit seiner beinahe trockenen Hose aus dem Auto in den See. Auf den ersten Metern reichte das Wasser bloß bis zu den Knöcheln.
Das Sekretariat des »Zentralbüros Wolle und Molkereierzeugnisse« war erfreulich leicht zu finden – es war der einzige Raum im gesamten Komplex, in dessen Türrahmen auch tatsächlich eine Tür hing. Und ein Messingschild, auf dem » ZB W. u. M., Tsakhia Ganzorig« stand. Als er auch nach dem dritten Klopfen keine Antwort hörte, öffnete Siebeneisen vorsichtig die Tür. An einem Tisch mitten im Raum saß eine matronenhafte Frau und war dabei, einen Schmetterling mit einer Nadel in einem Schaukasten zu fixieren. In ihren großen, grob aussehenden Händen wirkte das Insekt schrecklich zerbrechlich. Die Frau trug einen kamelhaarfarbenen Rollkragenpullover, unter dem sich der Körperbau einer Ringerin abzeichnete. Ihre Haare waren zu einem Knoten gebunden. Siebeneisen musste an historische Tuschezeichnungen japanischer Sumoringer denken, auch deswegen räusperte er sich sehr vorsichtig. Die Frau beachtete ihn nicht. Entweder war sie zu sehr in ihr Aufspießen vertieft, oder sie ignorierte ihn bewusst. Bis auf das Geräusch des Pfützenwassers, das in kleinen Bächen von Siebeneisens Beinen tropfte, war es vollkommen still. Er schaute sich um. Auf dem Schreibtisch türmten sich Zeitungsberge und Kladden, über die sich eine dicke Staubschicht gelegt hatte. An den Wänden hingen Dutzende Kästen mit aufgenadelten Schmetterlingen. Siebeneisen versuchte, sich die Frau vor sich vorzustellen, wie sie an den Wochenenden waldfeenhaft durch die mongolische Steppe schwebte, um den einen oder anderen seltenen Falter zu erhaschen. Es roch nach süßlichem Parfüm, Bohnerwachs und irgendetwas Ranzigem.
Und dann wurde die Tür zum Nebenzimmer geöffnet, und die Schmetterlingsfrau sah von ihrer Arbeit auf und entdeckte Siebeneisen, aber da war auch schon ihr Vorgesetzter aus seinem Büro geeilt. Tsakhia Ganzorig breitete die Arme aus und umarmte seinen Besucher, bevor er ihn aus dem Vorzimmer in sein Büro bugsierte.
»Was für eine Freude! Welch eine Ehre! Kommen Sie! Nehmen Sie Platz!« Er führte Siebeneisen zu einem Sessel.
»Bitte … bitte … machen Sie es sich bequem! Darf ich Ihnen einen Schluck Wodka anbieten? Ach was – wieso frage ich das überhaupt? Warten Sie …«
Der Chef des »Zentralbüros Wolle und Molkereierzeugnisse« ging zurück zur Tür und donnerte etwas auf Mongolisch in Richtung seiner Sekretärin. Die Sekretärin schien ihm zu widersprechen. Ganzorig blickte zum Boden, auf dem eine breite Wasserspur bis zu Siebeneisens Sessel führte, wo sie sich soeben zu einer kleinen Pfütze ausweitete. Er wiederholte seine Forderung mit etlichen zusätzlichen Dezibel. Dann schloss er die Tür, kam strahlend auf Siebeneisen zu, bückte sich zu ihm herunter und herzte ihn erneut.
»Mr O’Shady! Das ich das erleben darf! Endlich treffen wir uns! Ich darf noch einmal wiederholen, wie geehrt ich mich durch Ihren Besuch fühle!«
Mr O’Shady? Siebeneisen versuchte, die Situation zumindest gedanklich in den Griff zu bekommen: Dieser Mann sollte ihm eigentlich sagen, wie er Pat O’Shady finden könne – stattdessen hielt er ihn, Siebeneisen, offensichtlich für O’Shady. Bevor er die Verwechslung aufklären konnte, betrat die Sekretärin das Zimmer. Sie sah ihn an, als sei er ein seltener Falter, den sie als Nächstes aufspießen würde. Wortlos knallte sie eine Flasche Wodka und drei große Wassergläser auf den Schreibtisch, goss eines bis zum Rand voll und nahm es mit in ihr Vorzimmer. Die Tür krachte hinter ihr ins Schloss.
»Gestatten Sie mir, dass wir
Weitere Kostenlose Bücher