Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
auf Ihre Gesundheit trinken!« Ganzorig füllte die beiden anderen Gläser und reichte Siebeneisen eines davon, »auf das Wohl des berühmten Patrick O’Shady!« Er leerte das Wasserglas in einem Zug. Siebeneisen wollte nicht unhöflich sein, er nahm einen ordentlichen Schluck und musste anschließend einen Hustenanfall unterdrücken. Der Wodka schmeckte wie Terpentin. Oder wie eine Flüssigkeit, in der man tote Schmetterlinge konserviert. Irgendwie gelang es ihm, den aufkommenden Husten in eine Art staatstragendes Räuspern umzuformen, bevor das Geräusch über seine Lippen kommen konnte.
»Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber ich bin nicht O’Shady. Mein Name ist Siebeneisen, und ich bin auf der Suche nach eben diesem Patrick O’Shady. Offensichtlich liegt da ein Irrtum vor.«
Erstaunlicherweise bewahrte sein Gastgeber die volle Contenance. Ganzorigs Lächeln verlor vielleicht ein ganz klein wenig an Strahlkraft, aber selbst das sah man kaum, weil er sich sogleich abwendete und die Wassergläser erneut bis zum Rand füllte. Wahrscheinlich ist ihm völlig egal, mit wem er mittags um eins ein Fläschchen von diesem Fusel trinken kann, dachte Siebeneisen, Hauptsache, es gibt einen Grund zum Trinken.
»Mr Siebeneisen! Bitte entschuldigen Sie die Verwechslung! Wie konnte mir das nur passieren? Ich kenne Mr O’Shady bisher nur aus Erzählungen, bitte verzeihen Sie! Ich werde dieses Missgeschick sofort aufklären!« Er ging zur Tür, riss sie auf und donnerte etwas in das Vorzimmer, und zwar erheblich lauter als beim ersten Mal. Die Schmetterlingsfrau keifte zurück. Ganzorig schrie jetzt und betonte jede Silbe, indem er mit der Faust gegen den Türrahmen schlug. Die Schmetterlingsfrau erhöhte ebenfalls die Lautstärke, und dann tauchte ein Tischkalender in der Luft vor Ganzorigs Gesicht auf, und dann klatschte der Tischkalender mittenrein in Ganzorigs Gesicht. Der Chef des »Zentralbüros Wolle und Molkereierzeugnisse« warf die Tür zu und hob den Kalender vom Boden. Soweit Siebeneisen es aus seinem Sessel erkennen konnte, stand auf der kompletten Seite nur ein einziger, einzeiliger Eintrag.
»Hm«, machte Ganzorig, der den Eintrag mittlerweile etwa achtmal gelesen haben musste. »Es sieht so aus, als hätte ich da etwas verwechselt.«
»Das macht doch nichts. Gar kein Problem. Wenn ich richtig informiert bin, ist Mr O’Shady ja Wollhändler. Können Sie mir denn sagen, wo ich ihn zurzeit erreiche?«
»Aber natürlich! Warten Sie …« Der Mongole ging um seinen Schreibtisch herum und nahm eine große Kladde aus einem Regal. Er zögerte einen Moment, beschloss dann aber wohl, seine Vorzimmerdame fürs erste in Ruhe zu lassen. Er blätterte ein paar Seiten um.
»Aha – hier haben wir’s! In dieser Woche ist O’Shady im 20. Bezirk unterwegs.« Er klappte die Kladde zu und legte sie zurück auf den Stapel. Siebeneisen nippte an seinem Wodka und wartete, ob dieser Information eventuell noch andere folgen würden. Folgten aber nicht.
»Im 20. Bezirk? Wo ist denn das?«
»Der 20. Bezirk!« Ganzorig strahlte jetzt wieder auf altem Niveau, als sei sein Lächeln an einen Generator angeschlossen. »Es heißt, dort sei unser schönes Land am allerschönsten. Ist nicht weit von hier, weniger als 800 Kilometer südlich von Ulan Bator. Haben Sie Zeit, sich das Land anzusehen? Dann müssen Sie sowieso in den 20. Bezirk!«
Siebeneisen war mittlerweile längst so etwas wie ein Experte im Umgang mit solchen Situationen. Es gelang ihm deshalb spielend, die Entfernungsangabe aus den übrigen Informationen herauszufiltern, zu isolieren und in einer Schublade mit der Aufschrift »Nur im Notfall öffnen!« wegzuschließen, die sich in einem abgelegenen Raum seines Erinnerungsvermögens befand.
»Und was macht O’Shady dort? Im 20. Bezirk?«
Der Chef des »Zentralbüros Wolle und Molkereierzeugnisse« sah ihn erstaunt an.
»Was er dort macht? Er kauft Wolle! Mr O’Shady ist eine Legende! Der berühmteste Wollhändler der Mongolei! Der größte Experte! Mein bester Mann!« Er beugte sich über den Schreibtisch zu Siebeneisen hinüber. »Es heißt, er habe das magische Auge!«
»Das magische Auge?«
»Oh ja. Mr O’Shady gelingt es immer wieder, in einer Herde mit vielen tausend Tieren jene Jungtiere zu finden, die die feinste Wolle haben. Gleich im ersten Versuch! Andere Händler fahren ja erst in die Steppe hinaus, nachdem die Nomaden die Tiere schon geschoren haben. Nicht mein O’Shady! Er ist immer
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