Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Listen über »Die 50 beliebtesten weiblichen Vornamen auf Spitzbergen«, über »Die 20 bedrohtesten Froscharten auf Papua Neuguinea« und die Staaten mit dem höchsten Verbrauch an Papiertaschentüchern pro Einwohner pro Erkältungssaison. Überhaupt: die Wetterlisten! Ganz wichtig! Allein in Deutschland buhlen mindestens elf oder zwölf Städte mit den angeblich meisten Sonnenstunden oder Sonnentagen um Touristen, und alle ziemlich erfolgreich. International ausgerichtete Schönwetterlisten dagegen beziehen sich logischerweise meist auf Badedestinationen mit haifreien Stränden, niedrigen Alkoholpreisen und geringem Putschrisiko. Es gibt allerdings auch eine Liste, die auf sämtliche touristischen Belange keinerlei Rücksicht nimmt: Bei den Top Ten der »Länder mit den meisten niederschlagsfreien Tagen pro Jahr« rangiert mit einer beachtlichen »257« ganz oben: die Mongolei.
Von der sah Siebeneisen soeben: nichts. Oder eher: nicht viel. Wenn er richtig kalkulierte, musste es sieben Uhr morgens Ortszeit sein und eigentlich längst hell, aber vor dem kleinen Fenster an Sitz 43A war es bedenklich düster. Lawn neben ihm wachte auf, als der Pilot sich über die Lautsprecher meldete und ihnen mitteilte, dass er die Maschine bedauerlicherweise nicht an einen Andockplatz rollen lassen könne. Wie die meisten Piloten sprach auch er ein amerikanisches Englisch mit leichtem, beruhigendem Südstaateneinschlag, bei dem man irgendwie immer an Jimmy Carter denken muss. Siebeneisen fragte sich, ob die Airlines bei der Auswahl ihrer Flugkapitäne auch auf die Stimme achteten und ob Bewerber möglicherweise Vorteile besaßen, die mit ihrem lässigen Timbre selbst beim Verkünden von Todesnachrichten noch klangen, als läsen sie aus Der Räuber Hotzenplotz vor. In den Lautsprechern knackte es. Leider ständen weite Teile des Flughafens unter Wasser, sagte die Stimme jetzt und klang dabei besonders sonor, deswegen könne auch kein Bus an die Gangway kommen, die Passagiere müssten vom Rollfeld zu Fuß hinüber ins Terminal. Draußen warteten aber Abholer mit Schirmen, um sie zu geleiten, also dann: Einen schönen Tag in Ulan Bator! Siebeneisen versuchte sich vorzustellen, wie viel Regen auf eine Asphaltfläche fallen musste, dass keine Busse mehr fahren konnten. Er drückte seine Stirn gegen das Fenster, an dessen Außenseite breite Rinnsale entlangliefen. An der mittlerweile herangebrachten Gangway, über die nun die ersten der knapp 300 Passagiere nach unten gingen, warteten vier Abholer mit großen Regenschirmen. Sie standen bis zu den Schienbeinen im Wasser.
»Heizung?« Der Fahrer tat so, als suche er am Armaturenbrett den passenden Knopf zu dem Begriff. Siebeneisen hatte über diese Tricks gelesen. In solchen Ländern unternahmen Taxifahrer gerne alles, um den Benzinverbrauch zu senken, ob es sinnvoll war oder nicht, sie fuhren bis tief in die Dämmerung ohne Licht oder verzichteten im strömenden Regen auf die Scheibenwischer oder bei Eiseskälte auf die Heizung. Möglicherweise war auch das häufige Fehlen von Sicherheitsgurten in diesem Teil der Welt auf den Verdacht zurückzuführen, ihre Verwendung treibe den Benzinverbrauch in die Höhe.
»Ja, Heizung! Bitte! Und bitte hochdrehen – Sie sehen ja, wie wir ausschauen!«
Sie saßen erst ein oder zwei Minuten in diesem Taxi, aber an ihren Füßen bildeten sich bereits prächtige Pfützen. Ihre Hosen waren bis zu den Knien durchnässt; Siebeneisens Füße fühlten sich an, als steckten sie in zwei kleinen Aquarien. Der Fahrer bewegte mehrere Schieberegler am Armaturenbrett, tatsächlich wurde es kurz darauf minimal wärmer. Der Fahrer nickte und brummte etwas, als lobe er sich selbst für seine Leistung. Er schaltete das Radio ein. Zuerst gab es nur ein paar gurgelnde Geräusche, aus denen sich dann aber Stimmen herausschälten, eine Art auf Valium gesetzter Donkosakenchor. Es klang, als würden die Sänger stranguliert, während sie ein unbekanntes Stück von Rimski-Korsakow probten, zu dem der Regen auf das Dach des Taxis prasselte.
Siebeneisen wischte mit dem Unterarm seiner Jacke die Scheibe frei. Die Hauptstadt der Mongolei stand komplett unter Wasser. Seit sie den Flughafen hinter sich gelassen hatten, fuhren sie nicht durch einzelne Pfützen, sondern pflügten durch einen stadtweiten See. Auf dem Weg aus dem Terminal hatte Lawn mit der resoluten Entschlossenheit einer unausgeschlafenen Langstreckenpassagierin die Offerten sämtlicher Taxifahrer abgelehnt und
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