Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
spätestens in den Randbezirken von Ulan Bator beschleicht Besucher der schönen Mongolei dann der Verdacht, die Straßen hätten sich bereits völlig verausgabt und könnten nun partout nicht mehr weiter, obwohl noch 35 990 Kilometer vor ihnen liegen.
In dieser Region war der taubenblaue Pseudo-Jeep nun unterwegs. Sie hatten die letzten Industriegebiete vor wenigen Minuten hinter sich gelassen, als nach einer Bodenwelle die rechte hintere Tür aufsprang und Lawn beinahe in die Mongolei hinausgefallen wäre. Stattdessen kam ein beträchtlicher Teil der Steppe ins Wageninnere. Siebeneisen musste husten, lehnte sich dann über Lawn und zog die offene Tür zurück, was bei dem Gehoppel über die Bodenrillen alles andere als einfach war. Die Tür blieb zehn Sekunden im Schloss. Dann sprang sie erneut auf.
»Uchka der Fahrer muss nachschauen.«
Also hielten sie zum ersten Mal.
Siebeneisen stieg aus und ging ein paar Schritte vom Auto weg. Wie still es hier war! Sie waren kaum draußen aus der Stadt, und schon war es so, als hätte die Leere des Landes sämtliche Geräusche geschluckt. Er blickte sich um. Hinter ihnen ließen sich in der flirrenden Luft noch die vagen Umrisse von Schornsteinen erkennen, in allen anderen Richtungen aber sah man: nichts. Nichts außer: Mongolei. Die Steppe streckte sich, als reiche sie bis an die Enden der Welt. Siebeneisen schaute hinauf zu den pompösen Wolken, die sich an einem irritierend blauen Himmel stapelten. Der Wind fuhr in Schüben über das Gras, man konnte ihn kommen und weiterziehen sehen, wenn man die Halme betrachtete. Siebeneisen realisierte verwundert, dass er sich wunderbar ausgeglichen fühlte. Die Hektik der vergangenen Wochen war verschwunden, als hätte der Steppenwind sie weggeblasen. Als läge das alles ganz weit zurück, die Fliegerei, die Geisterjagd, die Wilderer. Als habe sich das alles in einem anderen Leben abgespielt.
Er ging zum Auto zurück. Lawn war ausgestiegen, saß auf einem Stein und las in Die Mongolei für Anfänger . Sie hatte das Buch in einem noch geöffneten Souvenirladen gefunden, nachdem sie bei ihrem Konzertbesuch am Abend zuvor aus dem Saal geflüchtet waren. Dschinghis Khan waren beim Refrain von »Hadschi Halef Omar« angelangt, als Tamara ihren Chef bewusstlos schlug. Es war ganz schnell gegangen – Ganzorig sprach gerade mit einer ausgesprochen hübschen und ausgesprochen schlanken jungen Frau vor ihnen, als Tamara ihn zu sich heranzog und zu keifen begann. Natürlich verstand Siebeneisen kein Wort, fand es aber beeindruckend, dass Tamaras Stimme die Musik von der Bühne übertönte. Und dann hatte sie Ganzorig ausgeknockt. Mit einer einzigen Geraden. Zu »Ha-ha-ha-Hadschi Halef Omar«. Selbst Make My Day in Australien hatte länger für einen K. o. benötigt.
»Hier steht, dass sich russische Militärjeeps immer und überall reparieren lassen, im Gegensatz zu japanischen Geländewagen mit ihrer hochkomplexen Elektronik.«
»Das mag stimmen. Im Unterschied zu russischen Militärjeeps verlieren japanische Geländewagen allerdings auch nicht zwanzig Minuten nach Fahrtbeginn ihre Türen.«
Siebeneisen schätzte, dass der Jeep etwa 1974 gebaut worden sein musste. Damals hatten die Sowjets ja noch nichts wissen wollen von westlichen Errungenschaften, damals hatte es dort keine Cola, kein Russland sucht den Superstar und natürlich auch keine Klimaanlagen und all das Zeugs gegeben. Was sie damals gegen ordentliche Autofenster einzuwenden hatten, wusste Siebeneisen allerdings nicht, möglicherweise lagen ideologische Gründe vor, jedenfalls besaß der Jeep nur zwei kleine Dreiecke zum Ausklappen und Feststellen, aber das funktionierte nicht, weil die Feststellhebel fehlten. Dort, wo sich bei anderen Autos Handschuhfach und Plastikverkleidung befanden, ragte ein Gewirr aus Kabeln und Schläuchen vogelwild in die Fahrerkabine. Alles obendrüber wurde von zwei Holzkeilen stabilisiert, die beim Fahren leider regelmäßig herausfielen, worauf zwei, drei Sekunden später dann das Armaturenbrett hinterherkam – das war beim Verlassen des Hotelparkplatzes passiert und anschließend dann noch fünf- oder sechsmal. Außerdem waren da noch ein Tacho sowie Anzeigen für Ölstand und Batterie, nicht aber für den Tank: Dort, wo die Tankuhr hingehörte, saß etwas, das wie eine leere, alte Thunfischdose aussah.
»Das da?« Uchka der Fahrer zeigte auf die Dose, als Siebeneisen ihn nach ihr fragte. »Das ist ein Aromaspender.«
»Aha. Schön. Aber
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