Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
ihm.«
»Das heißt, er hat tatsächlich richtige Fans? Ein Imitator?«
»Belieben Sie zu scherzen?« Ihr Fahrer sah über den Rückspiegel nach hinten. »Natürlich hat er Fans. Vor allem, wenn er deutsche Volkslieder singt.«
Siebeneisen erinnerte sich an eine Version von »Muss i denn, muss i denn«, die Elvis in den Sechzigern aufgenommen hatte, in Erinnerung an seine Militärzeit in Deutschland. Wahrscheinlich waren Drogen im Spiel gewesen, anders ließ sich dieser Fehlgriff bis heute nicht erklären.
»Und was singt er so auf Deutsch?«
Der Fahrer räusperte sich. Sah über den Rückspiegel nach hinten. Und begann dann, ohne weitere Vorwarnung zu singen:
»Wi wolln unslen alten Kaisel Wilhelm wiederhamm,
wi wolln unslen alten Kaisel Wilhelm wiederhamm
abl nu’, abl nu’, abl nu’ mit Batt!«
Es hört nie auf, dachte Siebeneisen, es endet niemals, der Wahnsinn geht immer weiter, immer weiter. Für ein paar Minuten hatte er sich wohl und behaglich gefühlt im weichen, schwarzen Leder der Limousine, ein paar Minuten lang, aber jetzt hatte ihn der Irrsinn dieser Welt wieder eingeholt. Dieses Mal in Form eines Chauffeurs, der ein 130 Jahre altes Lied deutscher Monarchisten anstimmte. Er wusste nicht, ob er lachen oder weinen oder einfach nur verzweifelt schweigen sollte. Eine große Müdigkeit überfiel ihn. Schlafen, dachte er, schlafen wäre jetzt das Beste. Lange schlafen. Sehr lange.
»Was singt er denn da?« Lawn blätterte in den Spa-Prospekten des Hotels, die in der Tasche des Vordersitzes steckten.
»Etwas, das meine Großmutter mir als Kind manchmal vorgesungen hat. Vor langer, langer Zeit, als die Dinosaurier noch vor dem Haus grasten.« Siebeneisen beschloss, das Kolonialthema nicht zu vertiefen. Lawn war bei solchen historischen Dingen wie ein Schwamm, der alles aufsog. Er hatte keine Lust, die nächsten Stunden über die Weltmachtambitionen des Kaiserreiches zu referieren, und welche Konsequenzen die deutsche Expansionspolitik möglicherweise auf das Auftreten von paranormalen Erscheinungen hatte. Er wechselte schnell das Thema. »Da hat sich unser Freund zu Hause aber ganz schön ins Zeug gelegt«, sagte er und klopfte mit der flachen Hand sanft auf das Rücksitzleder.
»Und du hast das Hotel noch nicht gesehen, zu dem dieses kleine Auto hier gehört.« Lawn klappte den Spa-Prospekt zu und zeigte Siebeneisen das Foto auf der Titelseite. Er hätte Wipperfürth früher Dampf machen sollen, dachte Siebeneisen, als er die Frontansicht des Grand Palace betrachtete, viel früher. Was für eine Reise hätte das werden können.
47
Ziemlich genau drei Tage später saß Siebeneisen an einem Tisch in der Halle des Bieres auf Qingdaos Oktoberfest und war sich sicher, dass Connor O’Shady nicht mehr auftauchen würde. Auf der Bühne spielte die Band wieder einmal jene Tuschs, von denen Siebeneisen im Laufe des Tages bereits viele gehört hatte. So viele, dass er vermutete, sie könnten in seinen Albträumen von nun an eine nicht unwesentliche Rolle bei der audiophilen Untermalung unterschiedlichster Schrecken spielen. Er seufzte. Nach all den Stunden und all den Bieren war ihm übel. Als er sich aufrappelte, drehte sich das Bierzelt um ihn herum. In den Ohren summte es seltsam. Wahrscheinlich ein drohender Hörsturz, dachte Siebeneisen. Er knallte den halb leeren Becher zurück auf den Tisch, stützte sich kurz ab und schob mit dem Hintern seinen Plastikstuhl aus dem Weg. Beim Umdrehen stieß er mit Nummer 43 zusammen, die ihm gerade seine Bestellung bringen wollte, ein Tablett mit kleinen Knabbereien – gegrillte Skorpione, Schalen mit merkwürdigem Schleim und etwas, das nach frittierten Unken aussah. Siebeneisen stürzte Richtung Ausgang. Knallte gegen Stühle, quetschte sich an Bedienungen vorbei, stapfte durch Berge aus Plastikbechern, kämpfte und drängelte und stieß sich durch die Halle. Als er die Hitze des Augusttages bereits spürte, ein fauchender Drachen, der darauf wartete, ihn zu verbrutzeln, spielte die Kapelle einen besonders lauten Tusch. Der Ansager sprach natürlich Chinesisch, oder besser: Er schrie Chinesisch. Deswegen merkte Siebeneisen erst im allerletzten Moment, weshalb sich die Stimme des Mannes da hinter ihm auf der Bühne fast überschlug. Er war einen Schritt vor dem Ausgang, als er den Namen O’Shady hörte.
»Conno’ O’Shaaaaaaaaady iiiiiiisssss Elvisss!«
Siebeneisen drehte sich ruckartig zur Bühne um, die in der Mitte der Halle des Bieres stand. Leider
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