Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
zwischen Kasernenhof und Kindergequengel lag und auch beeindruckende Lautstärkewechsel aufwies. 004 verbeugte sich tief. Sie forderte Lawn und Siebeneisen auf, ihr zu folgen.
»Bestell einfach das Gleiche für mich mit!« Lawn hatte ihre Sonnenbrille aufgesetzt, die Beine auf einen freien Stuhl gelegt und hielt den Kopf in die Sonne, anders gesagt: Sie hatte eine Haltung eingenommen, aus der man eine Frau unmöglich zu einem Besuch einer Restaurantküche bewegen konnte.
Also folgte Siebeneisen 004 allein, die ihn allerdings nicht in die Küche, sondern in die hinterste Ecke im Restaurant führte, zu einer langen Reihe veralgter Frutti-di-Mare-Aquarien, über deren Inhalt jeder Tiefseeforscher eine Dissertation hätte schreiben können. Siebeneisen starrte entsetzt auf die schrecklich aussehenden Tiefseegeschöpfe, die da im Wasser wimmelten. 004 ignorierte seine Schockstarre, sie zeigte abwechselnd auf Quallen, verwarzte Kröten und schleimige Tausendfüßer, wobei sie die eine oder andere Kreatur am Kragen packte, aus dem Becken zog und vor seinem Gesicht zappeln ließ.
Siebeneisen beschloss auf der Stelle, in diesem Land nur das Allernötigste zu sich zu nehmen. Er würde ausschließlich im Hotel essen. Und nur Dinge, die er einwandfrei identifizieren konnte.
»Können wir bitte zwei Tassen Tee bekommen?«
004 schaute irritiert. Siebeneisen zeigte mit dem Finger die Reihe der Aquarien entlang und schüttelte dabei vehement den Kopf. Dann imitierte er einen Schluck aus einer Teetasse. Sicherheitshalber machte er noch ein Schlürfgeräusch.
004 strahlte und nickte und verschwand im Finstern des Restaurants. Siebeneisen ging nach draußen.
»Und? Was gibt’s Feines?« Lawn saß noch immer tiefenentspannt in ihrem Stuhl. Der Fahrer hatte Kissen für sie organisiert.
»Wenn du zum Frühstück Kröte in Aspik oder undefinierbares Schleim-Getier magst, haben die hier eine beeindruckende Auswahl. Ich hab Tee bestellt. Ah – da kommt er auch schon.«
004 näherte sich mit einem großen Tablett. Auf dem allerdings keine Teekanne stand, sondern ein Kochtopf. Siebeneisen registrierte ein merkwürdiges Gefühl, das er sogleich als eine Kombination aus Ärger und Widerwillen identifizierte. Angst war auch dabei.
»Quallensuppe? Eine sehr gute Wahl!« Ihr Fahrer hatte bereits in den Topf geschaut. »Und sehr nahrhaft dazu!«
»Was? Nein! Bitte lassen Sie das zurückgehen! Das ist ein Versehen.« Siebeneisen war aufgesprungen und versuchte zu verhindern, dass 004 den Inhalt des Topfes ausschenkte, aus dem ein grauenvoller Geruch aufstieg. Ihm war jetzt leicht übel. Auch Lawn war deutlich blasser als noch vor zwei Minuten. »Wir hätten stattdessen gerne einen Schnaps, falls man hier so etwas serviert.«
»Selbstverständlich. Ganz wie Sie wünschen.« Der Fahrer war offensichtlich an schwierige Kunden gewöhnt. Oder hielt es für völlig normal, dass Besucher aus dem Westen zuerst ein gesundes Frühstück bestellten und es zwei Minuten später durch ein hochprozentiges Getränk ersetzt haben wollten. Siebeneisen empfand ein Gefühl der Dankbarkeit für den älteren Mann.
»Erzählen Sie uns doch noch etwas über die Kolonialzeit Qingdaos!«, forderte er ihn auf. Das Thema schien ja ein Steckenpferd des Fahrers zu sein.
»Aber gerne. So viel gibt es da zu berichten!« Der Fahrer hatte das Problem mit der Quallensuppe offenbar sofort vergessen. »Wollen wir dann weiterfahren? Ihre Getränke können Sie gerne im Auto zu sich nehmen.« Er nickte 004 zu, die mit beleidigter Miene und dem Topf verschwand und kurz darauf mit zwei kleinen Keramikfläschchen zurückkehrte. Lawn und Siebeneisen leerten sie noch auf der Treppe.
»Und zum Gedenken an diese Zeit feiern wir unser Oktoberfest.« Sie waren zurück im Yaggwar und schwebten Richtung Stadtmitte. Ihr Fahrer hatte in den vergangenen Minuten ein kleines Referat gehalten, »Tsingtau: Kaiserliche Modellstadt für eine bessere Zukunft«, oder so ähnlich.
»Sonntag ist übrigens ein ganz besonderer Tag: Dann wird Elvis Presley in der Halle des Bieres auftreten! Und später gibt es das größte Feuerwerk des Jahres!«
»Presley? Der Imitator? Am Sonntag? Sind Sie sicher?«
»Oh ja. Gerade heute Morgen brachte unsere Tageszeitung einen Bericht über ihn. Natürlich ist das nicht der richtige Elvis, der ist ja vor langer Zeit verschieden. Aber dieser Sänger aus Irland sieht in der Tat so aus wie das Original. Und singen kann er! Die Leute sind völlig verrückt nach
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