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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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Siebeneisen vor, als würde irgendetwas an der systemimmanenten Logik des Sherpas nicht stimmen. Er beschloss, im Laufe des Tages darüber nachzudenken. Überhaupt musste er über einiges grübeln. Er hatte zum Beispiel keinen Schimmer, wie man einen Himalaja-König begrüßte. Siebeneisen hielt es für möglich, dass sämtliche Expeditionsmitglieder längst beschlossen hatten, den komischen Westler voranzuschicken, sobald die Begegnung bevorstand. Da sollte er eine Lösung finden, dachte er. Vor allem aber musste er seine Kräfte einteilen: Sie hatten erst einen Bruchteil des Weges hinter sich, aber schon jetzt konnte er weit hinten am Horizont den Muskelkater seines Lebens herannahen sehen.
    Was dann wirklich hinter ihnen auftauchte, waren dunkle Wolken. Sie zogen sich ziemlich schnell zu einer bösartig aussehenden Wand zusammen, die der Wind wiederum ziemlich schnell auf die Wanderer zutrieb. Jigme hatte zwar von einer »kurzen Etappe zum Warmwerden« gesprochen, am Ende aber waren sie seit zehn Stunden unterwegs, als sich ihr Etappenziel endlich in der Dämmerung abzeichnete. Kagbeni sah aus, als hätten es seine Gründer vor tausend Jahren an einen Steilhang geklebt. Vor der Wolkenwand schien sich der Ort zusammenzuziehen und mit jeder Minute kleiner zu werden – bis er zu einer bröckelnden, mittelalterlichen Feste geschrumpft war, vor deren Mauern der Sturm stattliche Sandhosen aufwirbelte. Auf den Dächern flatterten zerfranste Gebetsfahnen, an den Häusern hingen blau bemalte Kuhschädel; irgendwo weinte ein Kind. Als Siebeneisen den Ort durch ein Tor in der Mauer betrat, kam ihm aus dem Dunkel ein Reiter entgegen. Er jagte an ihm vorbei hinaus in die Dämmerung, wo sich das Klappern der Hufe im Heulen des Windes verlor.
    Und nun war die endlose Nacht vorbei, und er konnte sein flatterndes Studienobjekt mittlerweile auch ohne Taschenlampe ausmachen, und dazu auch all das, was die Dunkelheit seit ihrer Ankunft in der verlassenen Steinhütte gnädigerweise verdeckt und versteckt hatte. Die zentimeterdicke Staubschicht zum Beispiel, die Parade der Käfer auf dem Lehmboden oder die zerzauste Katze in der Ecke, deren Fell wahrscheinlich auch der einen oder anderen Spezies eine Heimstatt bot. Und Rashid, von dem nicht mehr als die Zipfelmütze zu sehen war, die oben aus dem Schlafsack lugte. Dass ein neuer Tag begann im Himalaja, ließ sich auch an anderen Dingen feststellen. Am aufgeregten Gekrähe der Hähne zum Beispiel. Daran, dass die Hunde ihr Kläffen einstellten und nun schlafen gingen, nachdem sie wahrscheinlich jedes andere Lebewesen im Umkreis von 150 Kilometern die Nacht lang wach gehalten hatten. Und draußen waren nun auch Schritte zu hören, und jetzt hämmerte es an der Tür. Siebeneisen, der zum ersten Mal in dieser endlosen Nacht nicht glaubte, in den kommenden Minuten erfrieren zu müssen, tauchte in seinen Schlafsack ab. Es hämmerte weiter. Er sah auf seine Uhr: zehn nach sechs. Die Tür des alten Steinhauses wackelte beträchtlich. Rashid wachte auf, rückte seine Strickmütze zurecht, rotzte geräuschvoll in die Ecke und schaltete seinen Weltempfänger an. Siebeneisen dachte an Hiob. Dem waren auch solche Plagen zur Prüfung geschickt worden.
    Als es fünf Minuten später immer noch klopfte, stand er auf, stieg über die Katze und schob den Riegel der Holztür zurück. Draußen stand eine Frau. Ein Urgroßmütterchen. Eine Mumie. Sie war in mehrere Lagen Jacken, Decken und Tücher eingewickelt, nur ihr Gesicht war zu sehen, das allerdings wiederum unter einer dicken Dreckschicht lag und so viele Falten hatte, dass Siebeneisen sofort an eine topografische Landkarte denken musste. Die ist 120, mindestens, dachte Siebeneisen, aber da hatte die Mumie ihn schon am Arm gepackt und seinen Kopf zu ihr hinuntergezogen, und jetzt öffnete sie ihren Mund und zeigte mit dem Finger in Richtung ihrer letzten beiden verbliebenen Zähne hinten links. Siebeneisen nickte und murmelte etwas wie »schön, schön, dass Sie die so lange erhalten konnten«, aber die Frau ließ ihn nicht los, zerrte an seinem Arm, zeigte in ihren Mund und zeterte in einem fort. Irgendwie gelang es Siebeneisen, sich loszureißen. Sofort trat er ein paar Schritte zurück. Das half. Die Mumie drehte sich abrupt um und humpelte behände vom Hof, und Siebeneisen betrachtete erfreut, dass die Köche schon Teewasser aufsetzten, aber da war die Mumie auch schon wieder da, mit einer Zange, die aussah, als habe man mit ihr schon im Jahre

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