Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
reckte sich. Etwas wusste, dass seine Zeit wieder einmal gekommen war. Nebenan, im naiven Teil seines Bewusstseins, wo die Beruhigungs- und Appeasement-Abteilung saß, wurde wie üblich beschwichtigt und beteuert, ach wo, kein Grund zur Sorge, alles in Ordnung, mach dir nicht zu viele Gedanken. Im anderen Teil aber, der, in dem etliche Jahre Erlebnisse mit Schatten und Wipperfürth abgespeichert waren, in dem griente plötzlich eine dicke, fette Gewissheit.
Jigme lächelte noch immer. »Das ist Ihre Expeditionsmannschaft, Mr Siebeneisen, wie von Ihrem Kollegen aus Deutschland angefordert. 38 Mann, Träger und Köche, alles gute Leute. Wir haben natürlich auch einen Schlafsack für Sie, und eine Jacke und Wanderschuhe. Ich bin Ihr Sherpa. Und Ihr Übersetzer. Wir brechen morgen früh auf. Wenn nichts dazwischen kommt, sind wir nach sieben Tagesmärschen in der Hauptstadt Lo Monthang. Mr O’Shady praktiziert dort als Zahnarzt Seiner Majestät.«
8
(Zwei Tage später. Irgendwo im Himalaja, auf dem Weg nach Lo Monthang.)
Der Motte schien das Rampenlicht zu gefallen: Jetzt flatterte sie aufgeregt an der Decke entlang. Siebeneisen folgte ihr mit dem Strahl seiner Taschenlampe und summte »Super Trouper« von Abba. Er war aufgewacht, als das Insekt wild flatternd auf seinem Gesicht notgelandet war – es hatte sich angefühlt, als tanze ein junger Spatz auf seiner Nase Kasatschok. Nie zuvor hatte er eine Motte dieser Größe gesehen. Er konnte auch nicht nachvollziehen, wie ein Lebewesen mit diesen Flugeigenschaften auch nur halbwegs unbeschadet durchs Insektenleben kommen konnte. Die Motte zappelte, als werde sie von einem Zufallsgenerator gesteuert, dotzte abwechselnd gegen Dach und Wände, brummte sich sekundenlang störrisch an irgendeinem Holzbalken fest und stürzte immer wieder Richtung Boden, wo sie im Dunkeln verschwand. Zwanzig Sekunden später irrlichterte sie in wirren Spiralen zurück Richtung Decke. Irgendwo draußen begann ein einsamer Hund zu kläffen. Zwei Minuten später heulten seine zwanzig besten Kumpels um die Wette.
Siebeneisen lag in seinem Schlafsack und schaute durch ein Loch im Dach des Steinhauses hinauf in einen unglaublichen Sternenhimmel. Er konnte nicht schlafen. Wegen der Motte. Weil Rashid schnarchte. Weil ihm jeder Knochen weh tat und sein Kopf wegen der Höhe dröhnte. Und weil es trotz des Schlafsacks bitterkalt war. Natürlich war es das, dachte er, sie übernachteten auf 4 200 Meter Höhe, da musste er sich nicht wundern – er hätte sich nur richtig vorbereiten sollen. Siebeneisen seufzte. In Kathmandu war er an Dutzenden Läden mit Trekkingausrüstung vorbeigekommen, in denen alles angeboten wurde, was für eine Tour in solche Regionen sinnvoll war. Thermo-Unterwäsche zum Beispiel. Fleecepullover. Skimützen. Und er? Hatte geglaubt, es ginge mal schnell mit dem Jeep zu einer Zahnarztklinik zwei Straßen vom Flughafen entfernt. Statt mit Schattens Kreditkarte die dickste Daunenjacke und die wärmsten Handschuhe zu kaufen, hatte er einen gebrauchten Reiseführer erstanden. Toll gemacht, dachte Siebeneisen. Er stellte sich all die Dinge vor, die Schatten über dieses Mustang in Erfahrung gebracht haben musste, Wipperfürth ihm bei ihrem Telefonat verschwiegen und Jigme ihm dann nach und nach offenbart hatte. Dass keine einzige Straße im ganzen Land existierte, zum Beispiel. Dass es deshalb auch kein Auto gab, und übrigens auch keinen Bahnhof und keinen Hafen und keinen Flughafen. Dass er deswegen bis in die verflixte Hauptstadt namens Lo Monthang laufen musste, wenn er Liam O’Shady treffen wollte, und anschließend auch wieder zurück, insgesamt 140 Kilometer durchs Hochgebirge. Und dann waren da natürlich noch die übrigen Kleinigkeiten, von denen nie die Rede gewesen war: eiskalte Nächte, tollwütige Hunde, Blasen an den Füßen. Und obendrein auch noch ein Aufpasser, der überwachen sollte, dass auch ja kein Kaugummipapierchen im Reich des Königs zurückblieb. Die nepalesischen Behörden wollten eine weitere Müllhalde wie am Everest Basislager vermeiden, hieß es. Deswegen schickten sie jeder Reisegruppe nach Lo Monthang einen Beamten mit.
Das hatte Siebeneisen natürlich nicht geglaubt. Schon nach wenigen Stunden mit diesem Rashid war ihm klar gewesen, dass dieser sogenannte Umweltoffizier nur abgestellt worden war, um die astronomische Summe zu rechtfertigen, die das Visum für seine kleine Expedition kostete. Vielleicht war er auch seinen Vorgesetzten im Büro in
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