Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
des Herrn 1544 Nägel aus dem Holz gezogen. Die Mumie wackelte mit der Zange vor Siebeneisens Gesicht herum.
»Mr O’Shady reist gelegentlich mit dem König durchs Land.«
Jigme stand hinter Siebeneisen. Der Sherpa lächelte.
»Wo immer Seine Majestät Pause macht, kümmert sich O’Shady um die Bewohner. »
Er nickte in Richtung der Mumie, die noch immer ihre Zange in der Hand hielt, sich aber etwas beruhigt zu haben schien.
»Sie glaubt, dass jeder westliche Reisende Zahnschmerzen heilen kann. Können Sie ihr den Zahn vielleicht ziehen?«
9
(Fünf Tage später. Immer noch irgendwo im Himalaja, immer noch auf dem Weg nach Lo Monthang.)
Die nächsten Tage folgten einem eigenen, eigentümlichen Rhythmus. Sie begannen an irgendeinem verlausten Lagerplatz mit der üblichen Geräuschkulisse aus Wiehern, Rotzen und Propagandareden aus dem Transistor. Sobald die Sonne über die schneebedeckten Grate der Berge lugte und die Temperaturen erträglich waren, schälte sich Siebeneisen aus seinem Schlafsack und suchte sich einen ruhigen Platz etwas abseits, um sich Notizen zu machen. Sein Chef in der Redaktion des Tagesboten hatte ihn nur nach längerer Diskussion für die Reise freigestellt, »Sabbatical« nannte man das wohl jetzt. Allerdings hatte Siebeneisen versprechen müssen, die eine oder andere Reportage für den Reiseteil mitzubringen. Also schrieb er jeden Morgen nach dem Aufstehen ein paar Zeilen, bis es Tee und Rühreier gab. Nach dem Frühstück machten sich Siebeneisen, Jigme und Rashid dann auf den Weg, während die übrigen Männer das Lager abbrachen.
Am ersten Tag hatte Siebeneisen noch gedacht, dass die Träger bei diesem Timing bestimmt Stunden nach ihnen am Ziel eintreffen würden, tatsächlich aber dauerte es keine 30 Minuten, bis der Rest der Expeditionstruppe sie eingeholt hatte. Die Männer mit ihren zentnerschweren Kiepen, Säcken und Tragen auf dem Rücken joggten mühelos an ihnen vorbei, wobei sie sangen, diskutierten und rauchten oder auch alles gleichzeitig taten. Leider dehnte sich ab diesem desillusionierenden Moment der Rest des Tages wie Gummi – was auch daran lag, dass er fortan durch 7 334 Luftschnapp-, Durchkeuch- und »Nur mal kurz setzen …«-Pausen in kleinste Einheiten unterteilt wurde. Wenn es dämmerte, spornte Jigme Siebeneisen zur Eile an und flitzte anschließend fünf bis sieben Kilometer zurück, um sich um Rashid zu kümmern, der meist irgendwo auf einem Stein hockte und seine Blasen sowie das Schicksal der Welt beklagte. Unterdessen wurde das Camp in Orten aufgeschlagen, die aus 20 oder 30 windumtosten Lehmhäusern bestanden. Zumindest eines hatte immer einen geschützten Innenhof, und gegen eine Handvoll Rupien öffnete der Hausherr seine Tür für die Gäste.
Siebeneisen kam sich in diesen Höfen immer vor wie im Zoo. Sobald die Kunde vom Eintreffen der Expedition die Runde machte, rückte die Ortsbevölkerung an, um den Fremden zu bestaunen. Der Fremde hatte längst kapituliert. Er verteilte auf einem Stuhl in der Hofmitte freigiebig Mullbinden und Heftpflaster sowie kleine Kleckse Handcreme aus der Ayurveda-Apotheke in Kathmandu und hoffte, dass keine Zahnpatienten vorbeischauen würden. Zum Glück war es meist schnell zu dunkel für Diagnose und Behandlung, dann gab es Rühreier und Tee, und dann versuchte man zu schlafen. Leider verstärkten die Lehmmauern der Häuser jedes noch so kleine Geräusch zu einem Höllenlärm. Meist früh in der Nacht klang es regelmäßig, als jage zu Rashids Hindu-Orchester aus dem Radio ein Wolfsrudel durch die Gassen. Die Dorfköter entfernten sich zum Ortsausgang oder wohin auch immer, und wenn Siebeneisen gerade glaubte, sie seien nun fort, drehten sie um und kehrten kläffend zurück. Später trieb meist der Hausherr das Vieh in den Hof mit den Zelten, wobei er unentwegt »Uaaaah! Uaaaah!« oder ähnliche Kommandos brüllte. Anschließend wurde nur noch gehustet und geschnarcht, und die Esel fraßen die Spannleinen durch, und die Kühe kackten vor die Zelteingänge, sonst aber war es ruhig und friedlich. Und irgendwann beschloss die Nacht, dass sie jetzt lange genug in den eisigen Höhen des Himalajas gefroren hatte und verzog sich irgendwo anders hin, und es wurde Morgen, und alles ging von vorne los.
Heute wird alles anders, dachte Siebeneisen, während er einen Berg hinaufstieg, über den der Weg unbedingt wollte, obwohl rechts wie links problemlos Platz in der Ebene gewesen wäre. In diesem Land schienen die Pfade
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