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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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ebenfalls gewaltiges Messer; das Gewehr trug er an einem Riemen auf seinem Rücken.
    »Trinken Sie einen Schluck, das wird Ihnen helfen!«, sagte er jetzt.
    Siebeneisen, der sich in den Tagen zuvor vornehmlich durch clowneskes Gehampel und dem Wortschatz eines Zweijährigen mit den Bewohnern Mustangs unterhalten hatte, war verwirrt: Sein Retter sprach einwandfreies Englisch. Er glaubte sogar, eine Spur Rocky-Mountain-Akzent herausgehört zu haben, aber nach einer 40-Meter-Rutsche durchs Geröll glaubte man bestimmt so manches, also ging er nicht weiter darauf ein. Um den Willkommens-Buttertee würde er nicht herumkommen, schließlich hatte der Mann da ihm eben das Leben gerettet oder zumindest vor einem Geierschnabelloch im Bauch bewahrt. Er nahm einen ganz kleinen, ganz vorsichtigen Schluck. Es schmeckte scheußlich. Wie etwas, mit dem man Jägerzäune präpariert. Sein Gegenüber betrachtete ihn neugierig. Vor allem schien sein Retter an seiner Brille interessiert zu sein.
    »Ich habe noch nie textmarkergelbes Klebeband gesehen«, sagte er schließlich. »Haben Sie das in Kathmandu gekauft?«
    Und dann ritten sie Lo Monthang entgegen: hinten auf dem Pferd Siebeneisen, zwischendrin der tote Geier und vorne Tenzing, Grenzschützer und einziger Polizist seiner Majestät, des Königs von Mustang. Und bester Schütze im Land, auch das war klar, nachdem er Siebeneisen nach fast zehn Minuten Ritt die Stelle gezeigt hatte, von aus er den Geier erwischt hatte: Das waren mindestens 400 Meter Luftlinie. Siebeneisen wusste nicht, weshalb sie den völlig zerfledderten Vogel mitnahmen, konnte sich aber sehr gut vorstellen, dass ein einheimischer Homöopath da bestimmt die ein oder andere Idee haben würde. In der Geröllwüste unter ihnen wartete Lo Monthang, die Hauptstadt des Königreichs Mustang. Siebeneisen konnte die Fahnen auf den Häusern erkennen, die dicken, buckligen Mauern, den festungsartigen Palast. Und das Tor, durch das laut Reiseführer in den letzten 1 300 Jahren noch nicht viele Fremde gegangen waren. Dort unten wartete eine Stadt wie aus einer anderen, fernen Zeit. Und irgendwo hinter ihren Mauern wartete Liam O’Shady, der Zahnarzt Seiner Majestät.

10
    Lange vor seiner Abreise aus Oer-Erkenschwick – und lange bevor er überhaupt daran denken konnte, jemals eine Weltenecke wie den Himalaja zu erkunden – war Siebeneisen donnerstags im Fetten Hecht auf einen interessanten Text gestoßen. Er hatte auf seine Tipp-Kick-Partner gewartet und in einer National-Geographic -Ausgabe mit dem Schwerpunkt »Theorien« geblättert. Eine davon war besonders faszinierend gewesen, und wenn Wipperfürth und Schatten nicht plötzlich in den Fetten Hecht gepoltert wären, hätte er sich auch ihren Namen merken können. Auf jeden Fall besagte diese Theorie, dass sich der Entwicklungsstand einer Gesellschaft darüber definiert, wie stark ihr Alltag von althergebrachten Sitten und Bräuchen beeinflusst wird. Westliche Industriegesellschaften beispielsweise, in denen sich kein Mensch mehr um schwarze Katzen oder Frauen auf Besen kümmert (und in denen ein uralter Geisteraustreibungsbrauch zu einem albernen Kürbisfest verkommen ist), befinden sich nach dieser Theorie auf einer hohen Entwicklungsstufe – und zugleich auf einer, auf der Tradition und der Wertekanon auf der Abschussliste stehen. Andere Kulturen, in denen Kränze aus bestimmten Blüten neugierige Finanzbeamte abschrecken sollen (Hawaii) oder der Kauf von Büchern an Silvester böse Dämonen ködert (China), werden entsprechend anders eingeordnet. Falls sich irgendwann mal ein Experte in Sachen Sitten und Gebräuche nach Lo Monthang verirren sollte, dachte Siebeneisen an einem Nachmittag Monate später und eine halbe Welt entfernt, dann wüsste er ganz schnell: Es gibt Orte auf diesem Planeten, für die man bewährte Parameter erheblich erweitern muss.
    Er war noch keine Stunde in der Stadt und hatte bereits gegen eine erhebliche Zahl ihrer geheimen Gesetze verstoßen. Er war auf der linken Seite von Tenzings Pferd abgestiegen statt auf der rechten. Hatte versäumt, neunmal im Uhrzeigersinn um die Gebetsfahnen hinter dem Stadttor zu laufen. Sich geweigert, eine bottichgroße Begrüßungstasse Buttertee in einem Zug zu leeren. Und beim ersten Erkundungsgang durch die staubigen Gassen der Stadt offensichtlich zu lange vor einem monströsen Schädel pausiert, der auf einer mannshohen Steinpyramide thronte. Denn dann war da plötzlich ein zusätzlicher Stein, und dann

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