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Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)

Titel: Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Nink
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Kellner und brachte eine Kerze. Er ignorierte Siebeneisen komplett und verschwand wortlos im Duster.
    »Darf ich die Bestellung übernehmen?« Lawn hatte das Studium der Enzyklopädie beendet. »In New Orleans wird ganz wunderbar gekocht. Bei uns hat sich die spanische Küche mit der französischen gemischt, und die Sklaven haben einen guten Schuss Afrika beigefügt. Kann manchmal ein wenig scharf sein, aber das ist ja ganz gut bei diesem Klima, oder?«
    Siebeneisen betrachtete Lawn. Im Kerzenlicht hatte ihr Gesicht etwas Klassisches. Er versuchte, ihr Alter zu schätzen, Mitte 30, dachte er, aber vielleicht auch zehn Jahre älter, eine Aura von Zeitlosigkeit schien sein Gegenüber zu umspielen. Was auch daran lag, dass Lawn ihr Haar mit der Hilfe unsichtbarer Nadeln zu einem kleinen Turm aufgesteckt hatte, der leicht hin und her schwankte, wenn sie den Kopf bewegte. Sie hätte auch 1930 schon hier sitzen können, sinnierte Siebeneisen. Oder 1792. Ihm fiel auf, dass Lawns Oberlippe ganz leicht über die Unterlippe ragte, einen Millimeter vielleicht. Die Kerze warf flackernde Schatten auf ihr Gesicht. Er verspürte wieder dieses merkwürdige Kribbeln im Magen, das er aber sofort verdrängte.
    » O. k. ?«, fragte Lawn.
    Siebeneisen hangelte sich zurück in die Gegenwart, in diesen Raum, an diesen Tisch.
    »Wie bitte?«
    Ohne ihm zu antworten oder sonst etwas zu sagen, winkte Lawn den Kellner herbei. Der Mann trat mit ernstem Blick an ihren Tisch. Er sah aus wie jemand, der in einem film noir aus den Vierzigerjahren einen Flüchtling spielen könnte, oder einen enteigneten Grafen oder sonst einen Pechvogel, dachte Siebeneisen.
    Lawn bestellte Gumbo (»Louisianas Antwort auf die Bouillabaisse!«) für zwei. Und Wein. Und als Aperitif Mint Juleps, von denen sie behauptete, sie seien in New Orleans erfunden worden, »an einem Tag wie diesem, bloß war es damals richtig heiß«. Überhaupt schien sie eine Art wandelndes Wikipedia ihrer Heimatstadt zu sein. Während sich Siebeneisen in der Hitze des Raums zügeln musste, den hochprozentigen Cocktail nicht wie ein Glas Wasser in sich hineinzukippen, fiel Lawn unter anderem ein, dass sie nach dem Essen vielleicht noch im Napoleon House vorbeischauen könnten (»Haben seine Fans damals für ihn gebaut, aber als es fertig wurde, war er schon auf Elba!«) und eventuell auch noch bei Donna, wo spät am Abend immer die Brass Bands aus der Nachbarschaft spielten, das müsse er unbedingt gesehen haben, wenn er schon einmal hier sei.
    An dieser Stelle ihrer Programmpräsentation für den Abend zu zweit kam ihr dann offensichtlich etwas in den Sinn. Lawn zog an ihrem Mint-Julep-Strohhalm.
    »Ich hab Sie noch überhaupt nicht gefragt, warum Sie eigentlich in der Stadt sind. Meadow hat mir geschrieben, dass Sie hier jemanden suchen?«
    Siebeneisen nickte. Endlich. Er holte den Umschlag mit der Aufnahme von Finn aus seiner Jackentasche.
    »Ihre Schwester hat mir erzählt, dass sie diesen Mann auf einem Foto in Ihrer Wohnung gesehen hat. Er heißt O’Shady. Steht leider nicht im Telefonbuch …«
    Lawn drückte dem Kellner die Speisekarten in die Hand und nahm das Fax von Wipperfürth. Sie versuchte, es so zu halten, dass genügend Licht auf das Papier fiel. Der Kellner kam zurück und brachte eine weitere Kerze. Diese Stadt ist ein Anachronismus, dachte Siebeneisen, etwas, das eigentlich nicht mehr existieren dürfte. Die Straßenzüge, die Gebäude, die Manieren der Kellner, all das wirkte auf ihn, als sei es aus einer anderen Epoche herausgefallen und zufällig genau heute gelandet. Sein Hotel. Und Lawn. Lawn ebenfalls.
    Siebeneisen betrachtete sie, während sie das Bild betrachtete und dabei von ihrem Mint Julep trank, eine Haltung, die ihre Grübchen betonte und sie wie einen Teenager aussehen ließ. Das Kribbeln in seinem Bauch war verschwunden, stattdessen war es nun, als fließe warmer Honig durch seinen Körper. Das letzte Mal hatte er sich als Jugendlicher so gefühlt. Auf dem Schulhof in Oer-Erkenschwick. Beim Anblick jenes Mädchens, das Jahre später die Tür zu seiner Wohnung hinter sich geschlossen hatte. Von außen.
    Lawn legte die Aufnahme zur Seite und nahm einen Schluck von dem Wein, den der Kellner mit dem Vierzigerjahre-Gesicht mittlerweile gebracht hatte.
    »Ich sehe ihn öfter«.
    Ihre Stimme war seltsam flach geworden, aber darüber ging Siebeneisen jetzt einfach hinweg, weil zu dem Honig soeben etwa 750 Milligramm Endorphine in seine Blutbahn geschossen kamen: So

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