Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Generation der Erben.
»Der Spuk ging los, als McAllisters Sohn Thomas durchdrehte. Hatte eine Affäre mit einer Sklavin, Tara, war ja normal damals. Das arme Ding hat dann zufällig irgendein wichtiges Geschäftsgespräch mitgehört, und Thomas ist ihr hinterher und hat ihr mit seinem Bowiemesser ein Ohr abgeschnitten, der verfluchte Hundesohn. Und Tara hat ihm ewige Rache geschworen, das tapfere Kind.«
Siebeneisen hoffte, das die Geschichte jetzt bald zu Ende sein würde. War sie aber nicht. War sie längst nicht.
»Tara hat dann zuerst Thomas Frau aufgeschlitzt und anschließend seine Kinder vergiftet. Gott sei ihren Seelen gnädig! Dafür wurde sie gelyncht. Seitdem ist Thornbush verflucht.« Abigail bekreuzigte sich. Sie schaute sich um, als ob ihr sonst noch jemand zuhören könnte in dieser Küche. Sie beugte sich über den Tisch und flüsterte:
»Zehn unerklärliche Todesfälle. Zehn. Seit Tara gehängt wurde. Und alle sind sie noch hier! Zehn ruhelose Seelen!«
»Erscheinen diese Entitäten?« Siebeneisen wusste mittlerweile, was er in solchen Situationen zu sagen hatte, immerhin war er mit einer Ghostbusterin verbandelt, sozusagen.
»Entitäten?« Abigail verzog das Gesicht. »Entitäten?? Geister sind das, schreckliche Geister! Jede Nacht stürmen sie durch die Räume. Türen schlagen zu, Bilder fallen von den Wänden, und in unbewohnten Räumen sind morgens die Betten zerwühlt! Wenn wir tagsüber Führungen haben, verschwinden immer wieder einzelne Ohrringe, nie zwei, immer nur einer, die arme Tara braucht ja keine zwei mehr mit ihrem fehlenden Ohr. Ach, es ist schrecklich!«
Abigail sah mittlerweile aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Dabei erzählt sie das seit einem halben Jahrhundert bestimmt jedem, der an diesem Tisch sitzt, dachte Siebeneisen. Er war sich sicher, dass die Frau nicht schauspielerte. Sie war bloß derart von ihrer eigenen Geschichte ergriffen, dass ihre Emotionen mit ihr durchgingen.
Er beschloss, dass er nun genug wusste. Er würde draußen warten, bei den Putten, unter den Spinnwebbäumen. Und zwar mit einem großen Drink. Er legte Abigail tröstend einen Arm um die Schulter, worauf die alte Frau natürlich zu weinen begann, sich aber auch schnell wieder beruhigte. Siebeneisen ließ sich einen Gin and Tonic geben, dann ging er nach draußen in den Garten der Plantage. Es wurde dunkel, die gischtige Feuchtigkeit, die den ganzen Tag über den marschigen Feldern gelegen hatte, war gerade dabei, sich zu einzelnen Nebelschwaden zu verdicken. Louisiana schien sich bei Einbruch der Dämmerung in seine eigene, kleine Welt zurückzuziehen, dachte er. Er genoss die Stille, in der man nur die Zikaden hörte und das feine Sirren der Moskitos, die seine Arme als Landebahn ausgemacht hatten. Er sah Lawn aus dem Haus kommen, sie schwebte die Treppe herunter, sie sah aus, als sei sie einem Gemälde entstiegen, sie war schöner als jede Frau, die je eine Treppe in einer Baumwollplantage in diesem Land heruntergekommen war, da war sich Siebeneisen sicher.
»Wir können. War ein falscher Alarm. Der Lärm stammte nicht von einer Entität.«
»Sondern?«
»Offensichtlich sind zwei Besucherinnen nachts auf Geisterjagd gegangen. Sind über eine Luke in ihrem Zimmer auf den Dachboden gelangt, auf der anderen Seite des Hauses dann durch den dünnen Boden gebrochen und ein Stockwerk tiefer gelandet. Irgendwie haben sie es zurück in ihr Zimmer geschafft und den Vorfall verschwiegen.«
»Sie sind durch den Dachboden gebrochen?« Siebeneisen stellte sich die Art von Besucherin vor, der das passieren konnte. Lawn lächelte. Sie ließ ihr Becken kurz kreisen.
»Schlanke Mädchen kommen auf den Laufsteg, dicke Mädchen kommen überall hin. Wollen wir? Ich lass dich an deinem Hotel raus. Was aber nicht heißt, dass du da lange bleiben solltest. Ich warte zu Hause auf dich.«
25
(Vier Tage später. New Orleans.)
Sie ließen das Telefon lange klingeln, aber Finn Whitesail nahm nicht ab. Sie versuchten es noch einmal, zwanzig Minuten später, und eine Stunde später ein weiteres Mal – und beschlossen dann, einfach vorbeizuschauen in der North Rampart Street. Die Straße markierte die Grenze zwischen dem French Quarter und dem Stadtviertel Tremé und laut Polizeistatistik damit auch die zwischen »nachts halbwegs sicher« und »nach Einbruch der Dunkelheit besser nicht«. Auf halbem Weg lag der Congo Square, ein kleiner Platz, auf dem sich früher die Sklaven an ihren freien
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