Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Brillengläser geschmettert, und sobald es dämmert, wird es selbst schon bei 12 km/h ganz jämmerlich kalt. Der Reiz solcher Touren durch den afrikanischen Busch offenbart sich aber erst richtig, wenn der Fahrer in Todesangst quer durchs Gelände brettert, weil ein aufs Blut gereiztes Nashorn hinter ihm her ist. Ob es nun am Motorengeräusch lag oder dem Kreischen einiger Passagiere oder vielleicht auch nur am aufgewirbelten Sand, den sie wie eine Schleppe hinter sich her zogen – das Nashorn jedenfalls hatte jetzt keine Probleme mehr, sie einwandfrei zu orten: Es donnerte äußerst zielstrebig hinter ihnen her. Weil Sam immer wieder bremsen und Hindernissen ausweichen musste, gelang es ihnen nicht, das Tier abzuhängen; kaum hatten sie hundert Meter zwischen sich und ihren Verfolger gebracht, standen sie prompt vor einem Graben im Boden, und schon schnaubte das Tier wieder gefährlich nahe heran.
»Halt dich rechts, weg von den Felsen!«, brüllte O’Shady jetzt, »da kommen wir nicht mehr raus!«
»Rechts steht Wulumba!«
»Verdammt! Dann rechts vom Wulumba!«
»Da sind auch Felsen! Kilometerweit!«
»Verflucht!« O’Shady drehte sich um: Das Nashorn hatte aufgeholt und näherte sich dem Heck des Wagens.
»Fahr! Durch die Büsche! Fahr! Es hat uns gleich!«
Sam schloss die Augen. Wahrscheinlich dachte er daran, wie seine Mutter ihm als kleinen Jungen gepredigt hatte, nie, niemals durch Wulumba zu laufen, niemals, unter keinen Umständen. Dann gab er Gas und jagte den Landrover mitten hinein in das undurchdringliche Dornendickicht. Keine zwei Minuten später waren alle vier Reifen platt.
30
Und so waren sie unter den Affenbrotbaum gekommen, unter den Affenbrotbaum auf der anderen Seite des Wulumba-Gebüsches. Vor ihnen lag eine Landschaft wie aus einem romantischen Afrikafilm. Das Land war mit Baumgruppen gesprenkelt, die flache Sonne ließ das Savannengras golden leuchten. An zwei einzelnen Bäumen links knabberte eine Giraffenfamilie, in der Mitte grasten Zebras, weiter rechts musste ein Wasserloch sein: In der flimmernden Luft sah Siebeneisen Gazellen, Antilopen und Gnus, die sich alle an einer Stelle drängten. Ohne zu wissen, wie er unmittelbar nach der Hetzjagd durch die Dornen auf einen solch philosophischen Gedanken kommen konnte, ertappte er sich bei der Frage, ob es der Welt ohne die Spezies homo sapiens nicht besser ginge. Und ob früher, bevor der Mensch auftauchte, wohl ganz Afrika so ausgesehen hatte wie die Ebene da vor ihnen. Neben ihm seufzte Lawn leise auf ihrem Sitz. Es war nicht ganz klar, ob es ein Seufzen der Erleichterung war. Oder eines, das die biblische Szenerie vor ihnen ausgelöst hatte. Sie nahm seine Hand und legte ihren Kopf an seine Schulter.
Das Nashorn war nicht mehr zu sehen. Das Tier schien Respekt vor den Dornen zu haben oder hatte sich statt des Landrovers den einen oder anderen Baum vorgenommen, jedenfalls war es ihnen nicht durch das Gebüsch gefolgt. Links und rechts der gewaltigen Dornenhecke erstreckte sich eine natürliche Barriere aus aufeinandergetürmten Felsbrocken wie eine zerbröselte Gebirgskette, die auf beiden Seiten bis zum Horizont reichte: Wenn das Rhinozeros keinen mehrere Kilometer langen Umweg in Kauf nehmen würde, waren sie in Sicherheit. Wahrscheinlich rennt es gerade irgendwo hinter uns aus Wut mit dem Kopf gegen die Felsen, dachte Siebeneisen. Lawn und er saßen noch im Auto, während die anderen schon ausgestiegen waren und die Schäden am Fahrzeug inspizierten. Seine Knie zitterten. Ihm war auch leicht übel. Er fühlte sich ein wenig wie nach seiner Fahrt im »Wilden Hamster«, zu der ihn Wipperfürth vor einigen Jahren auf der Herbstkirmes in Oer-Erkenschwick überredet hatte. Damals musste er auch eine Weile auf einer Bank am Kassenhäuschen sitzen und darauf warten, dass die Welt sich wieder in ihre handelsüblichen Dimensionen rückte, während Wipperfürth ihre restlichen acht Chips verfuhr.
»Alles o. k. mit dir?« Lawn legte ihm eine Hand auf den Unterarm. Sie sah ihn besorgt an.
»Ja, geht schon wieder. Warum fahren wir nicht weiter?«
»Weil wir vier platte Reifen haben.«
»Vier?«
»Vier.«
»Na, dann sollten wir schleunigst den Pannendienst rufen.«
»Sollten wir. Können wir aber nicht. Sams Funkgerät ist ja im Büro, und von dem hier ist nicht mehr viel übrig«. Lawn zeigte auf jene Stelle, an der sich bei Geländefahrzeugen normalerweise das Armaturenbrett mit allerlei nützlichen Instrumenten befindet, in ihrem
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