Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
merklich.
»Eine Person mit besonderen Wahrnehmungsfähigkeiten.« Siebeneisen hatte soeben seine Vermutung geäußert, dass die Geräusche aus dem Gebüsch etwas mit Lawns Talent zu tun haben könnten.
»So wie die in dem Film mit Dan Akroyd, wo am Ende das Michelin-Männchen durch Manhattan stapft?«
» Ghostbusters . In der Originalfassung war das der Marshmellow-Mann.«
»Na toll. Und jetzt?«
»Jetzt werden wir leider auf Plan B zurückgreifen müssen.« Der Asiate hatte sich offensichtlich wieder im Griff. Seine Stimme besaß nun den Klang eines Sushimessers mit 18-fach gefalteter Edelstahlklinge, geschmiedet in der Präfektur Kagoshima. Er stand über ihnen, Siebeneisen konnte die Stoffhose mit der Bügelfalte sehen und das Herrentäschchen, das an der linken Hand des Asiaten hin und her pendelte. Hinter den grauen Stoffhosenbeinen reihten sich zehn schwarze Lederstiefel nebeneinander auf. In der Stille der Nacht war das Geräusch zu hören, das entsteht, wenn schwitzende Hände ihre Position an den Griffen von Maschinenpistolen korrigieren.
Und etliche Tagesmärsche entfernt, in einem mittlerweile bekannten Büro der Parkverwaltung, nutzte Simon Winter die endlosen Interviews nach dem 3:1-Sieg des FC Barcelona, um zur Toilette zu gehen. Wenn er anschließend die Überwachungssoftware gestartet hätte, anstatt sich auch noch die Zusammenfassungen der übrigen Partien anzuschauen – dann wäre ihm der kleine, grüne Punkt aufgefallen, der in den letzten anderthalb Stunden mit Höchstgeschwindigkeit nach Süden gesaust war. Und vielleicht auch, dass dieser Punkt nicht mehr weit von mehreren stabilen Hindernissen entfernt war, mit denen er sehr bald kollidieren würde.
35
Das Nashorn war jetzt zweieinhalb Tage unterwegs, aber wenn man es jetzt, in diesem Moment, fragen würde: Es hätte nicht mit Sicherheit sagen können, ob es nun seit vier Stunden durch die Savanne stampfte oder seit zwei Wochen. Das Nashorn kochte vor Wut. Immer noch. Es war familiär vorbelastet. Mütterlicherseits gab es eine Neigung zu unkontrollierbaren Wutausbrüchen, väterlicherseits einen Hang zur Aggression. Beim Nachwuchs hatten sich beide Erbanlagen zu einer Mischung verbunden, die man durchaus als hochexplosiv bezeichnen konnte. Nach 120 Kilometern Trab hätte sein Zorn eigentlich ein wenig verraucht sein sollen, so eine Distanz steckt auch ein Nashorn nicht ohne weiteres weg. Seine Wut allerdings hatte sich eher gesteigert. Was vor allem damit zusammenhing, dass es sich noch immer nicht plausibel erklären konnte, was da vor zwei Tagen eigentlich mit ihm passiert war.
Zwei schemenhafte, grüne Gestalten: daran erinnerte es sich. Sie hatten es ausgetrickst, indem sie sich gegen den Wind heranschlichen. Zu Fuß. Zuerst hatte es versucht, die beiden abzuschütteln. Als ihm das nicht gelang, war es in ihre Richtung gelaufen. Und dann? Dann war da dieser spitze, helle Schmerz. Und dieses Gefühl, als hätte es Schlamm in den Beinen, Schlamm, wie es ihn während der Regenzeit an den Wasserlöchern gab. Von dem, was anschließend mit ihm geschehen war, wusste das Nashorn nichts mehr. Was hatten die beiden mit ihm gemacht? Und was wollte dieser andere Typ? Der, der neben ihm kniete, als es aufwachte? An seinen Augenlidern hatte er gezupft! Das Rhinozeros kannte Gerüchte über Menschen, die seinesgleichen das Horn absägten – dass sie ihnen die Wimpern klauten, war anscheinend neu. Es schnaubte wütend aus und versetzte einem zufällig im Weg stehenden Baum einen Hieb mit seinem Horn. Ohne Grund. Einfach so. Der Baum fiel um.
Das Nashorn mochte aussehen wie ein Geschöpf, das damals im Tertiär lediglich aufgrund eines evolutionären Systemfehlers nicht zusammen mit den Dinosauriern von der Erdoberfläche verschwunden war – die anderen Bewohner der afrikanischen Savanne aber hatten im Laufe der Zeit gemerkt, dass man das Tier mit dem doppelten Horn und dem serienmäßigen Seitenaufprallschutz besser nicht unterschätzen sollte. Und dass es nur deshalb treudoof wie Stan Laurel in die Landschaft schaute, weil es entsetzlich kurzsichtig war, minus 13 Dioptrien etwa, auf beiden Augen. Dumm war es nämlich nicht, das Nashorn, im Gegenteil: Es war ziemlich clever. Und besaß obendrein ein exzellentes Erinnerungsvermögen. Das Nashorn amüsierte sich über Sprüche wie »ein Gedächtnis wie ein Elefant haben«, weil es der Meinung war, ein viel besseres Gedächtnis zu besitzen (gleichzeitig freute es sich über »wie ein Elefant
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