Donnerstags im Park - Roman
gedacht, wenn wir miteinander geschlafen haben? War das das Problem?«, hatte sie George gefragt.
»Ja und nein. Ich wünschte, ich könnte eindeutig Nein sagen, doch das kann ich nicht. Im Lauf der Jahre ist es mir irgendwie gelungen, die Sache in den hintersten Winkel meines Gehirns zu verbannen. Manchmal hat es mich angesprungen, und plötzlich bin ich mir wieder vorgekommen wie ein Zehn- oder Elfjähriger, aber die meiste Zeit habe ich es geschafft, damit zu leben. Die Begegnung mit ihm hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Das Verdrängen konnte nicht ewig funktionieren. In jener Nacht mit dir im Bett lag er mit diesem selbstgefälligen Grinsen zwischen uns. Da habe ich Panik bekommen und Reißaus genommen. Ich hätte es dir sofort erklären sollen, Jeanie, aber das ging einfach nicht.«
»Du solltest professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, George.«
George hatte den Kopf geschüttelt. »Nein, verlang das nicht von mir. Ich kann das keinem anderen erzählen. Bitte sag Chanty nichts davon, Jeanie, das würde ich nicht ertragen. Was würde sie von mir denken?«
»Natürlich überlasse ich es dir, wem du es erzählst. Aber bitte geh zu einem Therapeuten. Dass du es mir gesagt hast, ändert nichts. Du musst die Geschichte mit jemandem aufarbeiten, der sich mit solchen Fällen auskennt, sonst verfolgt sie uns bis ans Ende deiner Tage. Bitte, George … keine Geheimnisse mehr.«
»Bist du sicher, dass er sich das alles nicht nur ausgedacht hat, damit du ihn nicht verlässt?« Rita schob ihren Schläger in die Hülle und zog den Reißverschluss zu. Jeanie hatte in ihrer Wut über Acland wie der Teufel gespielt.
Jeanie sah sie mit großen Augen an. »Das ist nicht dein Ernst.«
»Nun …« Rita zuckte mit den Achseln. »Es wäre nicht das erste Mal, dass jemandem so etwas gerade zum rechten Zeitpunkt einfällt.«
»Es ist ihm nicht ›gerade zum rechten Zeitpunkt eingefallen‹, Rita. Er hat es nie vergessen; es hat ihn jeden Tag seines Lebens belastet.«
»Ich frag ja nur, Schätzchen. Versteh mich nicht falsch, ich finde das Ganze – falls es passiert ist – grässlich. Für einen Pädophilen gibt es keine zu schlimme Strafe. Aber wie du weißt, ist George nicht dumm. Als du ihm von Ray erzählt hast, muss ihm klar gewesen sein, dass du mit dem Gedanken spielst, ihn zu verlassen.«
»Jetzt kann ich das nicht mehr.«
»Dann hat’s also funktioniert.«
»Rita, spar dir deinen Zynismus. Du warst nicht dabei. Er war in einer schrecklichen Verfassung. Ich weiß mit absoluter Sicherheit, dass er sich das nicht ausgedacht hat.«
»Du kannst nicht aus Mitleid bei ihm bleiben, Jeanie.«
Darauf wusste Jeanie keine Antwort. Rita packte sie an beiden Armen und schaute ihr in die Augen.
»Jean Lawson, es … ist … dein … Leben.«
»Was soll das heißen?«
»Das weißt du ganz genau.« Rita ließ sie kopfschüttelnd los. »Willst du damit sagen, dass das das Ende der Sache mit dem Mann im Park ist?«
»Vielleicht bilde ich mir alles nur ein. Chanty meint, ich würde im Alter allein und ungeliebt dastehen, wenn ich meine Ehe riskiere.«
Rita schnaubte verächtlich, nahm ihre Sachen und scheuchte Jeanie vom Platz.
»Was soll sie auch anderes sagen? Schließlich ist sie deine Tochter. Sie möchte nicht, dass einer von euch verletzt wird. Doch das bedeutet nicht, dass sie recht hat, Schätzchen.«
»Du hast George nicht gesehen. Er war ein Häufchen Elend. Ich weiß nicht, ob er es überleben würde, wenn ich ihm jetzt verkünde, dass ich ihn verlasse.«
»Würde er«, versicherte Rita ihr. »Der Mensch überlebt so manches.«
»Warum bist du so erpicht darauf, dass ich ihn verlasse?«
»Ich bin überhaupt nicht erpicht darauf, dass du irgendetwas tust. Ich habe nur erkannt, welche Wirkung Ray auf dich hat. Er erweckt dich zum Leben. Ich hasse Verschwendung und finde, dass du deine Zeit mit George vergeudest. Er ist kein schlechter Mensch, aber du schleppst ihn mit, Jeanie. Das muss doch ermüdend sein.«
Jeanie fühlte sich in der Tat erschöpft. Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie George tatsächlich verlassen wollte. Der Gedanke machte ihr keine Angst mehr, sondern eröffnete vielmehr neue Freiheiten, eine Ahnung vom Leben, als würde sie an einem weit geöffneten Fenster die frische Luft des Morgens einatmen. Etwas hatte sich verändert. Vielleicht hatte die Last seines Geheimnisses sie an ihn gekettet, und jetzt war sie endlich frei. Doch dieser Gedanke verflüchtigte sich
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