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Donnerstags im Park - Roman

Donnerstags im Park - Roman

Titel: Donnerstags im Park - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Boyd
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wollte.
    Sie setzte sich an den Küchentisch, um Kräfte zu sammeln. Es war zwanzig nach sechs, ein strahlend schöner Sommermorgen, über den sie sich unter anderen Umständen gefreut hätte.
    »Danke.« George nahm die Tasse mit einer fast förmlichen Geste entgegen. »Setz dich zu mir, Jeanie, ich muss dir was erzählen.«
    »George, es tut mir leid. Du warst so durcheinander heute Nacht, und ich fühle mich verantwortlich. Warum lassen wir die Angelegenheit nicht ruhen, bis du dich erholt hast?«
    Er schüttelte den Kopf. »Das lässt sich nicht verschieben. Es geht dabei nicht um dich. Bitte hör mir zu, sonst verlässt mich am Ende der Mut.«
    Jeanie setzte sich mit fragendem Blick aufs Bett.
    »Es ist nicht deine Schuld. Ich habe dich im Stich gelassen, weil ich ein elender Feigling bin.« Er schlang die Arme mit einer kindlichen Geste um die Knie und musterte sie mit ernstem Blick durch seine Brille. Jeanie wurde bewusst, dass George nicht einmal als junger Mann jung ausgesehen hatte. Er war in allem, was er tat, gesetzt und verantwortungsbewusst und schottete sich oft von Jeanie und dem Rest der Welt ab. Nun wirkte er entschlossen und furchtlos.
    »Jeanie, ich weiß nicht, wie ich das einfach ausdrücken soll; ich sehe keine Möglichkeit, es leichter verdaulich zu machen … für dich und mich.« Er holte tief Luft, und ihr Herz begann laut zu pochen. »Ich bin als Kind missbraucht worden, von einem Freund meines Vaters, von Stephen Acland. Bei ihm habe ich die Ferien verbracht, wenn ich nicht dorthin flog, wo mein Vater gerade als Diplomat war.« Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus.
    Jeanie starrte ihn mit offenem Mund an. »Missbraucht?«
    George nickte.
    »Du warst jahrelang in den Ferien bei ihm.«
    »Und er hat mich jahrelang missbraucht. Von zehn bis vierzehn.« Er verzog wütend das Gesicht.
    »Mein Gott, George! Warum hast du mir das nicht gesagt? All die Jahre hast du dieses schreckliche Geheimnis bewahrt, weil du dachtest, du könntest es mir nicht erzählen?« Sie schwieg kurz. »Du hast immer geschwärmt, wie toll er war … Klug, kultiviert, witzig …«
    Wieder nickte George. »War er auch. Ich habe viel von ihm gelernt. Jeanie, es war meine Schuld. Ich habe es zugelassen, bin nach dem Abendessen zu ihm ins Arbeitszimmer, wenn er mich darum bat – er hat mir Schach beigebracht.«
    Jeanie drehte sich der Kopf. »So hat er das genannt? Dieses perverse Schwein!« Sie sah ihren Mann an. »Missbrauch bleibt Missbrauch, George; daran ist nur der schuld, der ihn begeht. Schrecklich, dass es passiert ist, und noch schlimmer, dass du das Gefühl hattest, du müsstest es vor mir verheimlichen. Was dachtest du denn, dass ich sagen würde?«
    George zuckte mit den Achseln. »Ich habe mich geschämt und wollte nicht, dass du mich für schwul hältst. Ich bin nicht schwul.«
    »Das habe ich nie behauptet.«
    »Ich dachte, du würdest dich vor mir ekeln. Ich habe es immer für meine eigene Schuld gehalten und geglaubt, dass du das auch so siehst. Meinen Eltern konnte ich es nicht sagen. Mein Vater hätte es mir nicht geglaubt. Stephen war Offizierskollege bei der Artillerie. Sie haben gemeinsam in Birma gedient und die Belagerung von Malta erlebt. Stephen war ein Kriegsheld; er hat eine Auszeichnung für die Rettung dreier Männer aus einem brennenden Panzer in Nordafrika bekommen. Mein Vater hielt ihn für ein gutes Vorbild.«
    »Und seine Frau?«
    »Caroline hatte keine Ahnung, da bin ich mir hundert Prozent sicher. Das war eine andere Zeit damals, Jeanie. Heutzutage diskutiert man solche Dinge offen. Man muss nur mit einem Kind sprechen, und schon wird man des Missbrauchs verdächtigt. Die Fünziger waren ziemlich naiv. Jemand wie Caroline hätte wahrscheinlich gar nicht so richtig gewusst, um was es ging. Auf die Idee, dass ihr Mann mich nach dem Essen bumst, wäre sie im Leben nicht gekommen. Es war ein großes Haus; in seinem Arbeitszimmer hat sie ihn nie gestört. Während es passierte, lag sie vermutlich mit Gesichtsmaske und einer Schmonzette aus der Leihbücherei im Bett.«
    Jeanie schüttelte den Kopf. »All die Jahre … Wie viele? Fünfzig? … hast du den Mund gehalten. George, ich weiß nicht, was ich sagen soll, abgesehen davon, dass du mich ins Vertrauen hättest ziehen sollen.«
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Wann hat es aufgehört? Hast du ihn seit damals je wiedergesehen?«
    George streckte blinzelnd die Beine aus.
    »Es hat aufgehört, als Pa gestorben ist. Ich war vierzehn und in

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