Donnerstags im Park - Roman
mitrechnete, war das Haus über achtzig Jahre lang nicht entrümpelt worden. George mit seiner fast schon zwanghaften Akribie hätte das gut gekonnt, das merkte Jeanie jetzt. Ihm hätte es sogar Spaß gemacht. Aber im Moment war er ihr keine Hilfe, und an manchen Tagen verspürte sie den fast übermächtigen Wunsch, alles einfach in einen riesigen Müllsack zu kippen.
»Wie geht’s Dad?«, fragte Chanty leise und blickte sich in der Küche nach ihrem Vater um. Jeanie fiel auf, dass ihre Tochter fast nur noch flüsterte.
»Er ist in seinem Zimmer und kann dich nicht hören.« Jeanie füllte den Wasserkessel. »Selbst wenn er hier am Küchentisch säße, würde er vermutlich nicht reagieren.«
Chanty sah sie bestürzt an.
»Was willst du machen, Mum?«
»Ich kann überhaupt nichts tun.« Jeanie seufzte. »Ich habe mit Dr. Hall gesprochen. Der sagt, solange er ›keine Gefahr für sich selbst oder andere‹ darstellt, kann er ihm nur helfen, wenn George ihn darum bittet.«
»Das klingt, als würde er ihn für verrückt halten. Was soll man daraus schließen?«
»Er meint Selbstmord, Chanty. Depressive sind gefährdet, das liegt auf der Hand. Aber Dad neigt nicht zum Selbstmord«, beeilte sie sich, ihrer Tochter zu versichern. »Wirklich nicht, Liebes.« Das war keine Lüge, es entsprach Jeanies Einschätzung.
»Woher willst du das wissen?«, fragte Chanty.
Jeanie reichte ihr eine Tasse Tee und schob ihr den Tetrapak mit der Milch hin. Ihr wurde bewusst, dass Chanty schwanger war und somit empfindlicher als sonst.
»Natürlich kann ich das nicht mit letzter Sicherheit wissen, aber mir scheint er nur für den Zeitpunkt zu leben, wenn wir aufs Land ziehen. Er redet ständig davon und glaubt, dass dann alles in Ordnung kommt. Ich hoffe, er hat recht.«
Chanty packte die Dinge gern sofort an, und Jeanies abwartende Haltung verwunderte sie.
»Was, wenn nicht, Mum? Du musst jetzt etwas unternehmen. Angenommen, er beschließt tatsächlich …« Sie schaffte es nicht, das Wort auszusprechen.
Chanty stand auf und fing an, rastlos in der Küche auf und ab zu marschieren.
»Mein Gott, ist das heiß. Wenn es nur endlich regnen würde.« Sie wandte sich ihrer Mutter zu. »Vielleicht solltest du den Laden verkaufen und hier bei ihm bleiben, Mum. Du gibst das Geschäft doch sowieso bald auf. Ich weiß, es ist hart für dich, aber es steht so viel auf dem Spiel.«
»Liebes, bitte, beruhige dich. Unter den gegebenen Umständen ist es nur zu verständlich, dass dein Vater unter Depressionen leidet.« Sie bemerkte den vorwurfsvollen Blick ihrer Tochter sehr wohl. »Gib ruhig mir die Schuld, aber wir müssen uns mit dem beschäftigen, was im Moment ansteht. Geh rauf und rede selber mit ihm, dann verstehst du, was ich meine. Ich kümmere mich um ihn, so gut ich kann, doch er möchte nicht, dass ich den ganzen Tag um ihn herum bin. Er sagt, ich soll verschwinden.«
Chanty sah in Richtung Tür und auf ihre Uhr. Jeanie spürte ihr Zögern.
»Geh, er beißt dich nicht. Dann kannst du ruhiger schlafen.«
»Tut mir leid, Mum, dass ich so unfreundlich war. Dad wirkte immer so robust und hat sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Ich hasse diesen Zustand jetzt.«
»Ich auch, aber ich muss daran glauben, dass er sich wieder fängt. Irgendwann …«
Chanty blieb an der Tür stehen. »Dieser Mann … Ray. Triffst du dich noch mit ihm?«
Jeanie schüttelte den Kopf und erhielt dafür ein anerkennendes Nicken, das sie ärgerte. Am liebsten hätte sie Chanty zurückgerufen und ihr die Wahrheit über ihre Gefühle gestanden. Wie satt sie es hatte, stets das Wohl der Familie über ihr eigenes zu stellen. Es ist meine Entscheidung, rief sie sich ins Gedächtnis, als sie die leere Tasse ihrer Tochter vom Tisch nahm. Ihr Vater hatte ihr und ihrem Bruder Will beigebracht, dass etwas nur wert war, getan zu werden, wenn man es mit Würde tat. Kopfzerbrechen machte ihr allerdings, dass sie sich in eine Zwickmühle manövriert hatte. Sie war weder in der Lage, sich mit Würde um George zu kümmern, noch ihn mit Würde zu verlassen.
»Banane, Gin?« Ellie hatte die gelbe Frucht im Kinderwagen entdeckt.
»Später, im Park.«
Es war fast zu heiß, um sich draußen aufzuhalten, doch Jeanie wollte mit Ellie zum Lido. Überall, besonders im Park oder in der Heath, hielt sie Ausschau nach Ray. Sie sehnte sich genauso sehr danach, ihn zu sehen, wie sie es fürchtete. Sogar der Schmerz einer Begegnung, wenn nichts sonst möglich war,
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