Donnerstags im Park - Roman
Häuschen.«
18
Jeanie sehnte sich nach Ray. Er war ihr so wichtig wie die Luft zum Atmen. Doch öde Pflichten mussten erledigt werden. Sie schob den Gedanken, dass sie seine Liebkosungen möglicherweise nie wieder spüren würde, beiseite. Obwohl sie täglich unzählige Male nach dem Handy griff, um ihn anzurufen, beherrschte sie sich, denn was hatte sie ihm schon zu bieten, wenn sie weiter der Pflicht gehorchte?
George, der in eine tiefe Depression versunken war, brauchte sie. Seit dem Abend bei Chanty und Alex schlurfte er im Haus herum wie ein alter Mann. Er wechselte die Kleidung nur, wenn Jeanie sie ihm wegnahm; er rasierte sich nur, wenn sie ihn daran erinnerte. Er saß den ganzen Tag in seinem Uhrenzimmer. Wenn Jeanie nach dem Rechten sah, lagen da immer noch dieselben Teile wie an dem Tag, an dem sie ihm ihre Liebe zu Ray gebeichtet hatte.
»Du musst dir einen Termin bei Andrew geben lassen«, ermahnte sie ihn immer wieder.
»Ich brauche keinen Arzt. Ich bin nur ein bisschen niedergeschlagen, das ist alles. Ich fange mich wieder, sobald wir in Somerset sind. Im Moment fehlt mir die Energie«, antwortete George ein ums andere Mal.
Das neue Haus schien seine Antwort auf alle Probleme zu sein. Am Ende rief Jeanie selbst den Arzt an. Andrew Hall, ein rauer, zuverlässiger Bär von einem Mann mit zwei imposanten Blumenkohlohren, die er sich in seiner Jugend auf dem Rugbyfeld eingehandelt hatte, war seit über zwanzig Jahren ihr Hausarzt.
»Ich kann nichts unternehmen, wenn er das nicht will, Jean«, sagte er.
»Aber genau so läuft’s doch bei Depressionen, oder? Ihm ist nicht klar, wie schlimm es um ihn steht.«
»Weißt du, ob irgendetwas diesen Zustand ausgelöst hat?«
»Das muss er dir selber erzählen. Ja.«
»Verstehe. Schick ihn mir. Aber solange du nicht das Gefühl hast, dass er eine Gefahr für sich selbst oder andere darstellt, kann ich ohne seine Zustimmung nichts tun. Ist er deiner Meinung nach selbstmordgefährdet?«
Jeanie überlegte kurz.
»Nein, das glaube ich nicht. Woran merkt man das? Mein Gott, was soll ich nur machen? Ich bin mit meinem Latein am Ende.«
»Soll ich vorbeikommen? Meinst du, er würde sich mir in seinem vertrauten Umfeld öffnen?«
George begrüßte Andrew mit einem matten Lächeln.
»Was machst du denn hier? Hat das alte Mädchen dich bearbeitet, was?« Er warf seiner Frau einen vielsagenden Blick zu.
Andrews lautes Lachen klang hohl. »Natürlich. Schließlich ist das ihr Job, und soweit ich das beurteilen kann, musst du ihr dankbar sein, dass sie ihn erledigt.«
George hob frustriert die Hände.
»Ich bin in Ordnung, glaub mir, nur ein bisschen müde. Andrew, ich freue mich immer, dich zu sehen, aber bitte geh jetzt wieder und kümmere dich um die wirklich Kranken.« Andrew gab Jeanie zu verstehen, dass sie sie allein lassen solle.
In dem Gespräch danach beurteilte er die Lage düster: »Du hast recht, ihm geht’s tatsächlich nicht gut; er wollte nicht mit mir reden. Hat die ganze Zeit von seinem Golf-Handicap und Somerset erzählt und ist wütend geworden, als ich ihm gesagt habe, dass er schlecht aussieht. Tut mir leid, Jean. Dir bleibt nichts anderes übrig, als ein Auge auf ihn zu haben. Wenn du meinst, es wird schlimmer oder er könnte sich was antun, solltest du mich sofort informieren. Solche Zustände sind üblicherweise zeitlich begrenzt; allerdings könnte es eine Weile dauern. Gib nicht auf.«
Also fügte Jeanie sich in ihr Schicksal, wartete ab und beobachtete George. Obwohl sie keinerlei Anzeichen dafür entdecken konnte, dass es mit ihm bergab ging, ließ sie ihn nur ungern längere Zeit allein und beschloss, früher als geplant jemanden einzustellen, der Jola im Laden half. Vor Georges Zusammenbruch hatten sie sich darauf geeinigt, dass sie bis zum Verkauf des Geschäfts dreimal die Woche nach London fahren würde, um nach dem Rechten zu sehen.
Im glühend heißen August füllte sich das Haus mit kleinen, runden, farbigen Stickern. Rot für Somerset, blau für die Einlagerung – die Old Rectory war kleiner als ihr Domizil in Highgate und hatte auch keinen Speicher für Onkel Raymonds viktorianische Möbel, die George nicht verkaufen wollte – sowie gelb für die Heilsarmee, die einen Lieferwagen und ein Team eifriger Helfer vorbeischickte, um alles abzuholen, was in keine der anderen Kategorien passte. Je länger Jeanie sich mit ihren Habseligkeiten beschäftigte, desto verzweifelter wurde sie. Wenn man Onkel Raymonds Zeit darin
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