Doppelgänger
abzuschneiden!«
Sie? Ohne zu sehen, wohin er trat, sprang er von einem Rohr zum anderen und starrte durch die beschlagene Frontscheibe seines Helms. Ja, natürlich, es war Miss Beeding …
»Aber sie kann es nicht sein«, murmelte er. »Oder ich habe von Anfang an recht gehabt!«
Er lief schneller, da verfing sich sein Fuß zwischen zwei Rohren. Er stürzte kopfüber zu Boden, und die beiden anderen Constables spurteten an ihm vorbei.
»Nichts passiert?« erkundigte sich Branksome, als er ihm auf die Füße half.
»Nein … nein. Danke, Sarge. Bin nur gestolpert, das ist alles.« Sellers richtete sich auf. »Aber haben Sie nicht gesehen, wer das ist?«
»Sah wie Miss Beeding aus«, sagte Branksome nach kurzem Zögern.
»Sie sieht genauso wie die Miss Beeding aus, die ich in der Nervenklinik von Geddesley gesehen habe«, sagte Sellers.
Sie starrten einander ein paar Sekunden lang an. Dann deutete Branksome voraus.
»Kommen Sie! Wir müssen dieser Sache auf den Grund gehen!«
Direkt hinter dem Gewirr von Rohren standen die hohen Vorratstanks, in denen Chemikalien gelagert wurden. An jedem Tank führte eine Inspektionsleiter empor, und große, weiße Schilder mit der Warnung LEBENSGEFAHR! GIFT! waren an den Stahlwänden befestigt.
»Sehen Sie, Sarge, da ist sie!« rief einer der anderen Männer und richtete den Strahl seiner Taschenlampe auf einen der Tanks. Sein Licht fiel auf die alte Frau, die die Inspektionsleiter des Tanks hinaufkletterte.
»Okay, jetzt haben wir sie!« sagte Branksome. »Wir brauchen sie nur noch … Jesus! Was hat sie denn jetzt vor? Haltet sie auf! He! He! Stehen bleiben!«
Er lief auf den Tank zu, aber es war schon zu spät. Die alte Frau hatte das obere Ende der Leiter erreicht, zögerte ein paar Sekunden lang, blickte zu ihnen herab, schien dann zu einem Entschluss zu kommen und sprang in die Flüssigkeit, die der oben offene Tank enthielt.
Sie hörten ein lautes Platschen, dann ein zweites, leiseres, und dann – Stille.
»Roh-Phenol«, las Sellers die Beschriftung an der Stahlwand des Tanks, und das war das letzte Wort, das einer von ihnen sprach, bis sie die Bude des Torwächters erreichten.
»Mr. Fleet ist hier«, verkündete Hedges. »Haben Sie die Alte erwischt?«
»Nein«, sagte Branksome knapp. »Die dumme Kuh ist in einen Tank voll Phenol gesprungen.«
Fleet, der gerade aus der Bude trat, wurde blass. »In welchen?« fragte er. »Sie wird den ganzen Posten verunreinigen. Ich muss sofort die Ventile schließen.«
»Ist das alles, was Ihnen dabei Sorgen macht?« fragte Branksome ätzend.
»Und warum nicht, Sergeant?« sagte eine andere Stimme, und Leigh-Warden trat aus der Torwächter-Bude. »Kümmern wir, die wir in dieser kranken Gesellschaft leben, uns nicht alle mehr um kommerziell Profit bringende Güter als um solche Lappalien wie Menschenleben? Wir haben durch die Kriege den Massenmord zu einer Industrie gemacht. Warum also sollte das Leben irgendeiner alten Frau so besonders wertvoll sein?« Er grinste.
»Halten Sie doch den Mund!« sagte Branksome mit ungewohnter Schärfe.
»Sofort«, antwortete Leigh-Warden. »Wer war die Frau? Es ist noch nicht zu spät, um eine Meldung für die ›Stop-Press‹-Kolumnen der Londoner Tageszeitungen durchzugeben, auf jeden Fall kriege ich sie in die Mittagsausgaben der Abendblätter.«
Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen. Schließlich sagte Branksome: »Wir müssen erst ihre Leiche aus dem Tank fischen, bevor wir dazu etwas sagen können.«
»Also war es nicht Miss Beeding?« fragte Leigh-Warden.
»Wie hätte es Miss Beeding sein können?« erwiderte Branksome.
»Das weiß ich nicht«, sagte Leigh-Warden. »Das ist es ja, was ich herauszufinden versuche.« Er grinste und ging zu seinem Wagen.
18
Nachdem Rory Dunstable sich von allen Männern an Bord der Jolly Roger verabschiedet hatte, fuhr er mit dem Versorgungsboot an Land und ging direkt zu der Tankstelle, bei der er während seiner Zeit auf See den Wagen unterstellte. Nachdem er ihn überprüft und die Abstellgebühr bezahlt hatte, fuhr er langsam durch die Straßen, um das Fotogeschäft zu finden, bei dem sein Film abgegeben worden war. Das Geschäft hatte gerade geöffnet, und es war noch niemand da, außer einem ziemlich gelangweilt wirkenden, alten Mann, der hinter der Ladentheke stand.
»Sie haben einen Fujichrom-Film von mir«, sagte Rory und schob seine Quittung über den Tisch.
»O ja, den «, sagte der alte Mann und nickte.
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