Doppelspiel
an oder durchwühlten diplomatische Depeschen und handgeschriebene Berichte über Grausamkeiten, die aus Ländern der Dritten Welt geschmuggelt worden waren. Reggie wusste, dass diese Aufgabe immer schwerer wurde. Die Nazis hatten noch alles haarklein aufgezeichnet, doch spätere Sadisten, die ihre perversen Triebe an vielen unterschiedlichen Orten auslebten, hatten nicht annähernd so penibel darauf geachtet, eine Spur zu hinterlassen.
Mallory hatte große Sorgfalt darauf verwendet, jeden zu überprüfen, der hier arbeitete. Natürlich wurden neue Mitarbeiter nicht auf den üblichen Wegen rekrutiert. Schließlich konnte man keine Zeitungsanzeige schalten, in der es hieß: ›Gerechtigkeitsliebende Vigilanten gesucht, denen es nichts ausmacht, Leute zu töten, die es mehr als verdient haben.‹
In Reggies Fall hatte Mallory sie an der Universität besucht, wo sie als Gastdozentin tätig gewesen war. Nach monatelangem Werben hatte er dann zum ersten Mal davon gesprochen, dass man Altnazis zur Strecke bringen müsse, die kurz vor Kriegsende aus Deutschland geflohen waren. Als Reggie ihm daraufhin enthusiastisch zugestimmt hatte, war er einen Schritt weitergegangen, und schließlich hatte er – rein theoretisch natürlich – erwähnt, dass man der Menschheit in die Länge gezogene Gerichtsprozesse ersparen könne, indem man selbst die Rolle von Richter und Henker übernahm.
Anschließend hatte Mallory Reggie ein paar Monate lang Zeit gelassen, um das zu verdauen. Als sie dann freiwillig zu ihm zurückgekehrt war und ihm weitere Fragen dazu gestellt hatte, da hatte er sie beantwortet – zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Und zu guter Letzt, als er gefühlt hatte, dass sie sich der Sache mehr und mehr verschrieb, hatte er sie anderen Leuten vorgestellt. Whit war einer davon gewesen, Liza eine andere. Ein weiterer Monat verging; dann brachte Mallory ihr einen Zeitungsartikel über einen alten Mann, der in seiner luxuriösen Wohnung in Hongkong ermordet aufgefunden worden war. Es war zwar nie an die Öffentlichkeit gelangt, doch Mallory erzählte Reggie, dass der Mann als ehemaliger KZ-Kommandant identifiziert worden war. An jenem Abend hatten sie bis tief in die Nacht über die moralischen Aspekte solch einer Tat diskutiert. Obwohl es dabei nicht explizit ausgesprochen wurde, nahm Reggie an, dass der Professor und die Leute, denen er sie vorgestellt hatte, hinter dem Anschlag standen. Zu diesem Zeitpunkt wünschte sie sich nichts sehnlicher, als Teil davon zu sein.
Erst da hatte der Professor sie nach Harrowsfield gebracht. Reggie hatte eine Reihe von Tests durchlaufen, um festzustellen, ob sie psychologisch für das Team geeignet war. Sie hatte sie mit Leichtigkeit bestanden und dabei eine Coolness an den Tag gelegt, die sogar sie selbst überrascht hatte. Als Nächstes kamen die körperlichen Tests. Reggie war schon immer eine gute Sportlerin gewesen, doch nun wurde sie zu Leistungen angetrieben, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass sie in ihr steckten. Während ihre Lunge kurz vor dem Kollaps stand, quälte sie ihren geschundenen Leib durch tückisches Gelände, von dem sie noch nicht einmal geahnt hatte, dass so etwas in der malerischen Landschaft Englands existierte. Dabei musste man Whit Beckham zugutehalten, dass er Reggie Schritt für Schritt begleitete, obwohl er selbst die Prüfung gar nicht mehr mitmachen musste, denn er war schon länger dabei. Anschließend folgte die Spezialausbildung: Waffen, Kampfsport und Überlebenstraining unter schier unzähligen, herausfordernden Bedingungen.
Im theoretischen Unterricht lernte Reggie, wie man den Hintergrund einer Zielperson ermittelt und weitere wertvolle Informationen sammelt. Sie lernte Fremdsprachen und Selbstbewusstsein und wie man eine Rolle spielt und erkennt, wenn jemand anders es genauso macht. Und sie lernte auch, wie man jemanden so unauffällig beschattete, dass der Verfolgte einen nur entdecken konnte, wenn er in einen lief. Diese und noch ein Dutzend anderer Fähigkeiten wurden ihr förmlich eingeimpft, bis sie es schon instinktiv richtig machte.
Nach ihrer Ausbildung nahm sie als Back-up an drei Missionen teil. Zwei davon wurden von Whit geführt, und bei der dritten war Richard Dyson, ein erfahrener Nazijäger, für den letzten Akt verantwortlich gewesen. Bei Reggies erster eigener Mission ging es um einen alten Österreicher, der nun in Asien lebte, nachdem er Hitler dabei geholfen hatte, Hunderttausende zu ermorden, nur weil sie
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