Doppelspiel
so aus wie der hier. Sie alle konnten Kreise um jeden Bodybuilder laufen, bis dem schwindelig wurde. Bei ihrer Arbeit zählten weder Kraft noch Schnelligkeit, sondern Ausdauer. In ihrer Welt gewann definitiv jedes Mal der Igel. Diese Art von Männern konnte es mit den Besten aufnehmen, einer Fliege auf vierhundert Yards die Flügel abschießen, vollkommen leise sein, wenn es nötig war, oder den Rammbock spielen, wenn nichts anderes mehr half. Am Ende ging es nur um eines: Überleben. Deshalb war auch Shaw nie oft ins Fitnessstudio gegangen, sondern lieber einen Berg hinaufgerannt. Diese Art von Training entschied darüber, ob man aufrecht oder in einer Kiste nach Hause kam.
Shaw riss sich von diesen Gedanken los, als Pascal neben ihn trat und fragte: »Brauchen Sie noch etwas? Falls nicht, dann würde ich es zu schätzen wissen, wenn Sie weiterfahren würden, damit ich dieses Areal sichern kann.«
Das war keine offene Drohung, sehr professionell, dachte Shaw. Der Kerl war gut. Aber ein Mann wie Waller konnte sich wohl auch die Besten leisten. Shaw fuhr in sein Hotel zurück und rief Frank an.
»Okay«, sagte Frank, nachdem Shaw ihm Bericht erstattet hatte. »Das Spiel beginnt. Halt mich auf dem Laufenden.«
Shaw zog sich um, wartete drei Stunden und ging dann wieder los. Sein Nachtsichtgerät, das wie eine Kamera aussah, ließ er sich vorher aus dem Hotelsafe geben. Er wanderte durch die dunklen Straßen von Gordes. Normalerweise hätte es ihn gefreut, dass sein Ziel in der Stadt war und alles nach Plan verlief. Denn obwohl die Villa gemietet und die Privatführung in Les Baux gebucht war, hätte sich der Plan noch ändern und Waller nie in der Provence auftauchen können. Doch jetzt war Shaw alles andere als erfreut. Das Ziel war zwar hier, aber auch Janie Collins, und Shaw hatte das Gefühl, als hätte das nichts Gutes zu bedeuten.
Kapitel dreißig
R eggie schaute in den Badezimmerspiegel, während sie sich das Make-up mit einem feuchten Tuch abwischte. Sie hatte sich ein langes grünes T-Shirt und eine weiße Bikinihose angezogen, und das Haar fiel ihr glatt bis auf die Schultern. Als sie fertig war, schaltete sie das Licht aus und ging zu dem Fenster, von wo aus sie auf die Straße vorne sehen konnte. Der Citroën und einer der SUVs standen noch immer dort. Der zweite SUV war vor ungefähr zwanzig Minuten weggefahren. Reggie hatte den Motor starten gehört, war aber zu spät am Fenster gewesen, um zu sehen, wer darin gesessen hatte.
Sie schrieb dem Professor und Whit eine SMS und berichtete ihnen, dass Kuchins Männer angekommen waren. Die SMS wurde über eine sichere Verbindung verschickt; trotzdem formulierte Reggie sie so, dass sie keinen unnötigen Verdacht erregen würde. Sie schrieb schlicht: »Liebe Carol, die Aussicht hier ist sogar noch viel schöner, als ich gedacht habe. Morgen werde ich extra früh aufstehen, um den Sonnenaufgang zu genießen.«
Reggie ging ins Schlafzimmer und öffnete das Fenster. Von hier aus konnte sie einen Teil des Nachbargartens sehen. Sie war überrascht, als sie die Silhouette eines Mannes entdeckte, der am Pool auf einem Stuhl saß und offenbar eine Zigarre rauchte. Terrasse und Garten waren nicht beleuchtet, doch der Mond schien hell.
Das ist er. Das ist Fedir Kuchin .
Hätte Reggie eine Waffe gehabt, sie hätte das Leben des Mannes hier und jetzt beenden können. Doch so arbeitete sie nicht.
Sie sah, wie der Mann zusammenzuckte. Hatte er sie gesehen? Das war nahezu unmöglich. Reggie stand nicht in seiner Sichtlinie, und nirgendwo brannte ein Licht. Trotzdem trat sie in den Raum zurück, ließ das Fenster aber auf. Hätte sie es geschlossen, das Geräusch hätte vielleicht doch noch die Aufmerksamkeit des Mannes erregt.
Reggie atmete tief durch, zog ihr T-Shirt aus und das Bikinioberteil an und ging die Treppe runter. Sie öffnete die Terrassentür und trat an den dunklen Pool.
»Okay«, seufzte sie leise. »Dann mal los.«
Sie ließ sich in das warme Wasser gleiten und schwamm ihre Bahnen.
*
Shaw beobachtete die beiden Villen von der Klippe aus. Er sah Reggie am Fenster stehen und dann, wie sie sich hinausbeugte, um in den Nachbargarten schauen zu können. Als Nächstes wanderte sein Blick zu dem Mann im Garten der anderen Villa. Evan Waller saß dort am Pool und rauchte eine Zigarre. Zwei seiner Bodyguards waren dicht bei ihm. Shaw zoomte näher heran. Sein Nachtsichtgerät strahlte nichts ab; also machte er sich auch keine allzu großen Sorgen, dass man
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