Doppelspiel
Zoll kleiner als Shaw, doch er überragte Reggie noch deutlich.
»Wie ich gehört habe, hat es gestern Abend ein kleines Missverständnis mit einem meiner Männer gegeben. Ich fürchte, das war meine Schuld. Bitte seien Sie versichert, dass das nicht wieder vorkommen wird. Ich würde das gerne wiedergutmachen. Was halten Sie davon, wenn wir heute Abend gemeinsam essen? In meiner Villa oder in der charmanten kleinen Stadt da oben auf der Klippe. Ganz wie Sie wollen.«
Mit seinem massigen Leib vermittelte er Reggie das Gefühl, sie niederzudrücken, während sie darüber nachdachte. Kurz schaute sie über seine Schulter und sah zwei Männer hinter ihm. Einer von ihnen hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Vermutlich war das derjenige, der sie nackt am Pool gesehen hatte, dachte sie. Die männliche Lust war so einfach zu deuten wie ein in Druckschrift geschriebener Text. Und dann war da noch der kleinere Mann von gestern Abend. Aus irgendeinem Grund war Reggie ihm gegenüber weitaus misstrauischer als gegenüber dem größeren.
»Nun, das ist ja sehr nett von Ihnen, aber …«
Kuchin lächelte entwaffnend, als er sie unterbrach: »Nein, nein, denken Sie noch einmal darüber nach, bevor Sie ablehnen. Aber ich habe Ihnen ja noch nicht einmal gestattet, die Tür abzuschließen, bevor ich mich Ihnen aufgedrängt habe. Bitte, entschuldigen Sie. Ich erwarte Ihre Antwort dann später.« Er schaute auf Reggies Einkaufskorb. »Wie ich sehe, wollen Sie ein wenig einkaufen.«
Reggie nickte. »Im Stadtzentrum gibt es zweimal in der Woche einen wunderbaren Markt. Dort gibt es alles, von Kleidern bis zu Gemüse.«
»Nun, dann muss ich mir diesen Markt wohl auch mal ansehen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich mitzunehmen? Der Morgen ist wunderschön, und ich würde mir gerne ein wenig die Beine vertreten.«
»Sind Sie gerade erst eingetroffen?«
Kuchin hakte sich bei Reggie unter, und sie war gezwungen, neben ihm herzugehen. Er war keineswegs brutal – tatsächlich fühlte sich das Ganze sogar vollkommen natürlich an –, dennoch wusste Reggie nicht, wie sie ihm hätte entgehen können, ohne sich gewaltsam von ihm loszureißen.
»Ja, ich habe einen langen Flug hinter mir. Ich lebe in Kanada. Das ist jetzt meine Heimat; davor war es Hongkong. Von da wäre der Flug sogar noch länger gewesen. Waren Sie schon mal dort?«
Reggie schüttelte den Kopf.
»Hongkong hat mehr Energie als jede andere Stadt auf der Welt.« Er lächelte und fügte hinzu: »Und es ist ein Ort, wo man alles bekommen kann, was man will. Aber Sie sind Amerikanerin, nicht wahr? Dann sind Sie ja ohnehin daran gewöhnt zu bekommen, was Sie wollen.«
»Wie kommen Sie darauf, dass ich Amerikanerin bin?«, fragte Reggie und täuschte Misstrauen vor.
»Das habe ich schlicht aus Ihrem Akzent und Ihrer Erscheinung geschlossen. Stimmt das etwa nicht?«
»Doch, doch. Ich bin Amerikanerin.«
»Dann sind wir ja auch in dieser Hinsicht Nachbarn. Unsere beiden Länder meine ich. Wenn das nicht Vorsehung ist …«
»Als ich gestern Abend nach Hause gekommen bin, haben Ihre Männer meinen Namen gekannt.«
Kuchin winkte gelassen ab. »Das ist nur Teil der üblichen Sicherheitsmaßnahmen, fürchte ich. Ich bin ein sehr reicher Mann, müssen Sie wissen. Zwar führe ich ein ausgesprochen langweiliges Leben und weiß auch nichts von irgendwelchen Feinden, aber die Firma, deren Vorsitzender ich bin, besteht auf diesen Vorsichtsmaßnahmen.« Er lachte. »Immerhin bin ich Kanadier, also Mitglied eines friedfertigen, hart arbeitenden Volkes.« Er tätschelte Reggie den Arm. »Aber ich kann Ihnen versichern, dass es keine weiteren Eingriffe in Ihre Privatsphäre mehr geben wird.«
Ach ja? , dachte Reggie. Schließt das auch mit ein, mich beim Schwimmen zu begaffen? Reggie hatte zwar kein Nachtsichtgerät wie Shaw, doch aus dem Augenwinkel heraus hatte sie gesehen, wie Kuchin sie gestern Abend über die Mauer hinweg beobachtet hatte. Und Dominic hatte das über Funk bestätigt. Nachdem Shaw sie auf den Schläger und Spanner aufmerksam gemacht hatte, hatten sie einen Beobachtungsposten eingerichtet. Er lag knapp einen halben Kilometer von der Stelle entfernt, von wo aus Shaw sie von der Klippe beobachtete. Allerdings wusste Dominic nichts von Shaw und umgekehrt.
»Sind Sie wirklich sicher, was das betrifft?«, fragte Reggie. »Ihr Sicherheitsmitarbeiter schien sehr hartnäckig zu sein.«
Kuchin strahlte und rieb ihr den Arm. »Ja, da bin ich mir sicher. Schließlich
Weitere Kostenlose Bücher