Doppelspiel
Meeting. Sie hatte sich diesen Treffpunkt vor allem ausgesucht, weil es so gut wie unmöglich war, ihr hierher unbemerkt zu folgen.
Reggie folgte einer Touristengruppe und bog in den Geschenkladen ein, als die anderen zur Kapelle gingen. Der Verkaufsraum war warm. Zwar drehte sich ein einsamer Ventilator träge über Reggies Kopf, doch der schaufelte die warme Luft nur hin und her. An einem Automaten in dem kleinen Foyer konnte man sowohl Cola als auch Cappuccino ziehen. Reggie ging zu der Abteilung mit den Bildbänden über die Provence, von denen viele Lavendelfelder auf den Covern hatten.
Als sie gerade in einem Buch über die Geschichte der Abtei blätterte, summte ihr Handy. Sie las die SMS. Dort stand: »Sechs Uhr«. Reggie legte das Buch wieder weg, nahm sich ein anderes und blätterte es durch.
Whit stand hinter ihr und schaute sich eine kleine Schnitzerei der Klostergebäude an, die man für fünfzehn Euro erwerben konnte. Er trug eine Baseballkappe, eine Sonnenbrille, zerrissene Jeans, einen Sechstagebart und die Kopfhörer eines iPod im Ohr. Er legte die Schnitzerei wieder hin und ging hinaus. Reggie wartete eine Minute; dann folgte sie ihm, nachdem sie das Buch gekauft hatte, das sie als Letztes in der Hand gehabt hatte.
Sie sah Whit an einer niedrigen Steinmauer vor dem Gebäude stehen. Er hielt die Kamera in der Hand und schaute durch den Sucher. Dann drehte er sich um.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mich vor der Abtei zu fotografieren?«, fragte er.
Reggie lächelte. »Aber nur, wenn Sie mir den gleichen Gefallen tun.«
Sie fotografierten einander und gingen dann zusammen weiter.
»Gibt es irgendwas Neues zu meinem Freund Bill?«, fragte Reggie mit leiser Stimme.
»Nichts. Der Fingerabdruckvergleich hat nichts ergeben. Und auch zu seinem Bild haben wir nichts gefunden. Offenbar ist er ein ganz braver Junge. Sein voller Name lautet übrigens William A. Young.«
»Wofür steht das A.?«
»Das konnten wir nicht herausfinden.«
»Glaubst du, er hat gemerkt, dass ihr beiden euch in seinem Zimmer umgeschaut habt?«
»Wir haben sorgfältig darauf geachtet, alles wieder so hinzulegen, wie wir es vorgefunden haben. Sein Pass ist amerikanisch, und die Adresse ist bestätigt. In den USA sind viele Lobbyisten mit dem Namen William Young registriert. In der kurzen Zeit, die uns bleibt, können wir sie unmöglich alle überprüfen. Aber vermutlich wäre das ohnehin Zeitverschwendung. Ich sehe hier kein Problem.«
»Oder sein Cover ist genauso gut wie meins.«
» Oder er ist wirklich, wer er behauptet zu sein, Reg.«
»Er ist mühelos über die Mauer geklettert und hat mich entwaffnet. Und das soll ein Lobbyist sein?«
Whit legte besorgt die Stirn in Falten. »Nun ja, er ist ein großer Kerl. Aber ich verstehe, was du meinst. Und? Was hast du jetzt vor?«
»Ich weiß nicht. Was denkt der Professor?«
»Unser großes Genie hat verlauten lassen, er vertraue in diesem Punkt ganz und gar deiner Erfahrung.«
»Na, toll. Und was denkst du?«
»Ich denke, wir sollten Kuchin erledigen, und unsere Pläne dabei nicht einfach so verändern, nur weil etwas stinkt. Uns fehlen schlicht die Informationen dafür. Also sollten wir uns an den ursprünglichen Plan halten, bis wir solide Erkenntnisse haben, die tatsächlich eine Änderung erfordern.«
»Wie geht es Dom?«
»Er will endlich loslegen. Und? Wie ist dein erster Eindruck von Kuchin?«
»Meine Erwartungen haben sich voll und ganz bestätigt. Er hat eine außergewöhnliche Präsenz.«
Whit schaute sie skeptisch an. »Du hast dich doch nicht in ihn verguckt, oder?«
»In das Monster? Wohl kaum.«
»Damit habe ich nicht Kuchin gemeint.«
Reggie starrte ihn wütend an.
Whit grinste schelmisch. »Groß, geheimnisvoll und Bezwinger der höchsten Mauern?«
»Ich werde jetzt einfach so tun, als hättest du das nicht gesagt«, erwiderte Reggie kalt.
»Ich will dir natürlich nicht vorschreiben, was du tun sollst …«
»Dann lass es auch, Whit.«
»Pass einfach auf.«
»Gleichfalls.«
»Was soll das denn heißen?«
Reggie schaute ihn aus dem Augenwinkel heraus an. »Hast du ihm wirklich mit seinem eigenen Blut ein Hakenkreuz auf die Stirn gemalt, nachdem du ihm in die Eier geschossen hast?«
»Was soll ich sagen? Ich bin eben ein wahrer Künstler in meinem Fach.«
»Ja, klar. Ich gehe wieder zurück.«
»Wirst du heute Abend mit unserem ukrainischen Freund essen?«
»Ja.«
»Ich frage mich, ob unser großer, geheimnisvoller Freund wohl auch
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