Doppelspiel
bin die Einzige, die das Lösegeld zahlen könnte. Wie Sie also sehen, bin ich für jeden Kriminellen ein denkbar schlechtes Opfer.«
»Vielleicht haben Sie da ja recht. Aber der Mann, mit dem Sie unterwegs waren, der sah aus, als würde er einen guten Bodyguard abgeben.«
»Bill sieht in der Tat so aus, als könne er auf sich selbst aufpassen.«
»Ah, er heißt also Bill. Und wie mit Nachnamen?«
»Den hat er mir nie gesagt«, antwortete Reggie wahrheitsgemäß. Das hatte Whit für sie herausgefunden.
Diese Unwissenheit schien Waller zu freuen. »Dann stehen Sie ihm also doch nicht so nah. Ich bin erst kurze Zeit hier, und meinen Nachnamen kennen Sie bereits.«
»Das ist kein Wettbewerb, Evan.«
»Natürlich nicht«, sagte er in nur wenig überzeugendem Ton.
»Und wie Sie selbst gesagt haben, sind Sie alt genug, um mein Vater zu sein.«
»Genau genommen bin ich sogar alt genug, um Ihr Großvater zu sein, zumindest fast.« Er ließ ihren Arm los und deutete zur Kirche. »So eine finden Sie in jedem Dorf hier in der Gegend.«
»Eine Kirche? Ja, sicher.«
»Die Menschen benutzen die Religion für vieles, vor allem, um ihre eigenen Unzulänglichkeiten zu erklären.«
»Das ist eine ungewöhnliche Theorie.«
»Dumme Menschen, die ihr Leben einfach nicht unter Kontrolle bringen wollen , schreiben ganze Bücher darüber. Sie suchen darin nach irgendwelchen Spuren göttlicher Vorsehung, um ihre eigenen Gelüste zu erklären.«
»Sie meinen, sie suchen nach Führung.«
»Nein, ich meine, sie suchen nach Entschuldigungen. Die Menschen, die mit ihrem Leben tatsächlich etwas anzufangen wissen, machen das von hier aus.« Er klopfte sich auf die Brust. »Sie brauchen keine Männer mit steifen weißen Kragen, die ihnen sagen, was sie zu denken und zu wem sie zu beten haben, und wichtiger noch, denen sie ihr Geld geben.«
»Ich nehme an, Sie sind kein eifriger Kirchgänger.«
Er lächelte. »Au contraire. Ich bin jede Woche dort. Und ich spende der Kirche auch viel Geld.«
»Warum das denn, wenn Sie das alles für Mist halten?«
Erneut hakte Waller sich bei ihr unter. »Ich tue das von Herzen. Ich glaube. Und der Glaube hat viele gute Seiten. Meine Mutter wollte sogar Nonne werden; aber glücklicherweise hat sie das nicht getan, sonst wäre ich jetzt nicht hier. Ich habe meine Mutter sehr geliebt.«
Reggie drehte sich zu Waller um und sah, dass er sie anschaute.
»Ich werde diese Woche noch zu einer Privatführung nach Les Baux fahren, zu einer Ausstellung«, sagte er. »Haben Sie schon davon gehört?«
»Ich habe davon gelesen, ja.«
»Dieses Jahr wird schwerpunktmäßig Goya gezeigt.«
»Goya? Das ist nicht gerade eine fröhliche Wahl.«
»In der Tat. Viele seiner Meisterwerke sind recht düster, aber sie haben solche Kraft und gewähren einem tiefe Einblicke in die menschliche Seele.«
»Sie bilden das Böse ab«, sagte Reggie und wandte sich rasch von dem Mann ab, den sie für böser hielt als alle, die sie je gejagt hatte.
»Auch das Böse ist Bestandteil unserer Seele. Jeder hat das Potenzial dazu.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Reggie. »Ich weigere mich, das zu glauben.«
»Natürlich können Sie sich weigern, das zu glauben, doch das heißt nicht, dass Sie auch recht haben.« Waller hielt kurz inne. »Es würde mich freuen, wenn Sie mich in die Ausstellung begleiten würden. Dann können wir ja weiter diskutieren.«
Reggie antwortete nicht sofort. »Ich werde darüber nachdenken und Ihnen dann Bescheid geben.«
Waller lächelte ob dieser sanften Zurückweisung. Dann beugte er sich vor und küsste Reggie die Hand. »Ich habe unser Dinner sehr genossen, Janie; aber jetzt ruft das Geschäft. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«
Er drehte sich um und ging davon. Seine Männer folgten ihm.
Reggie stand mitten auf der Straße und suchte verzweifelt nach einer Erklärung für diesen letzten Blick.
»Sorgen?«
Sie drehte sich um.
Shaw lehnte an einer Säule vor der Kirche.
Kapitel fünfunddreißig
E van Waller stieg in den schwarzen SUV, und seine aus drei Autos bestehende Wagenkolonne setzte sich in Bewegung und deckte ein älteres Ehepaar mit Staub ein, als sie den Hügel hinauf nach Gordes raste. Waller lehnte sich zurück und schaute auf das Display seines Handys. Die E-Mail war kurz – das gefiel ihm – und auf den Punkt, und das gefiel ihm sogar noch mehr.
»Wie lange?«, fragte er den Fahrer.
»Laut GPS fünfzig Minuten, Mr Waller. Die Straßen sind ziemlich
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