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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Reich formen sollte. So berichtete es die Chronik. Und obwohl ich mir bewusst war, dass Geschichte in den meisten Fällen von den Siegern geschrieben wurde, so konnte man aus ihr ebenfalls eine Menge über die Verlierer in Erfahrung bringen.
    Die Verlierer waren in diesem Falle die Elben gewesen, die über weite Teile der Welt verteilt gelebt hatten. Ihre Fürstentümer waren der Legende nach von einer grausamen Schönheit gewesen. Glaubte man der Chronik, so hatten die Elben die Menschen in kleine Gebiete verwiesen, obwohl diese immer zahlreicher und zahlreicher wurden. Wer letztlich mit wem begonnen hatte, Krieg zu führen, war nicht klar ersichtlich – auch, wenn offizielle Chroniken selbstverständlich den Elben die Schuld daran zuschrieben. Und auch für den Volksmund waren die Elben stets ein willkommener Sündenbock.
    Doch in dem Moment, in dem es Aan – einem mächtigen Stammesfürsten – gelungen war, ein handfestes Bündnis zwischen beinahe allen Menschen zustande zu bringen, war das Schicksal der Elben besiegelt gewesen. Denn der schieren Zahl an menschlichen Kriegern hatten sie über die Jahre wenig entgegenzusetzen gehabt.
    Als Aan das neue Reich proklamierte, machte er die prächtigste der Elbenstädte zu seiner Hauptstadt: Anselieth. Er riss die Residenzen der Elben auf den Klippen nieder und gab den Bau des größten und prächtigsten Palastes der Menschengeschichte in Auftrag.
    Die Elben hingegen vertrieb man aus den Gebieten, die nun die Menschen für sich beanspruchten. Das zum allergrößten Teil bewaldete Land Quainmar, das weit im Südosten lag, überließ man ihnen zur Selbstverwaltung. Weiter südlich hätte man sie nicht verbannen können. Denn die Wälder Quainmars gingen nur noch in Steppe und schließlich in die Wüste über. Zu den geheimnisvollen und wenig bekannten Menschenreichen im allertiefsten Süden waren es von dort noch Tausende von Meilen.
    »Es braucht dir nicht unangenehm zu sein«, riss Lia mich aus meinen Gedanken. »Ich hege keinen Groll gegen dich oder die Menschen. Ich kenne es nicht anders.«
    Dankbar, wenn auch unangenehm berührt, nickte ich ihr zu.
    Lemander hingegen wandte sich Lia zu.
    »Lia, meine Liebe«, raunte er. »würdest du eventuell deine Ohren verstecken?«
    Fragend sah sie ihn an.
    »Stell keine Fragen!«, mahnte Lemander. »Du weißt, wie Menschen sein können. Immerhin bist du auf der Flucht mit voller Absicht zum einzigen fürstlichen Hof geflohen, von dem man dich nicht gleich wieder verjagt.«
    Wieder überkam mich eine Ahnung davon, dass Lia ihre etwas hilflose Rolle mitunter nur spielte. Wortlos zog sie die Kapuze ihres Mantels über den Kopf und tief in die Stirn hinein.
    Vor dem massigen Torhaus der Palastmauer hatte sich eine Gasse von Männern und Frauen des Königs aufgestellt, mit Bannern und wehenden Fahnen links und rechts der Straße.
    Dem Protokoll gemäß präsentierten sie ihre Waffen, als wir hindurchzogen.
    Hinter dem Tor tat sich der riesige, durchgehend mit hellen Platten gepflasterte Innenhof auf, in dessen Mitte die Fünf Türme standen.
    »Diese Türme sind so groß, als seien sie für die Ewigkeit gebaut«, kommentierte Lia staunend, was sie sah.
    »Ich denke, das war auch der Plan, als man sie errichtet hat«, bestätigte Lemander. »Aber bitte sei jetzt still, bis wir unsere Quartiere bezogen haben. Glaub mir, es ist nur zu deinem Besten.«
    Unser Empfangskomitee war lächerlich klein. Kein Vergleich zu dem, was den Herrscherhäusern von vielleicht Lilienbach oder Gamar sicherlich zuteil geworden wäre. Nicht ein einziges Familienoberhaupt der Familien von Gamar, Lilienbach, Dinster oder Gramenfeld hatte sich eingefunden. Für sie alle war ich rechtlich zwar gleichgestellt, aber im Grunde nicht willkommen. Ich, die angeblich so liberale Spitze eines vergleichsweise winzigen Fürstentums – das schwarze Schaf einer sehr mächtigen Familie aus Fürstentümern, stets dazu bereit, seinen Unmut und Fragen über Gerechtigkeit und Sinnhaftigkeit in politischen Belangen zu äußern.
    Ich überblickte die kleine Versammlung derer, die uns empfingen. Diplomaten und Bedienstete. Zu meiner Freude entdeckte ich Alen Wetmann, den gewählten Regenten des Seenlandes. Die einzige Person im Reigen der Herrscher im Ehernen Reich (abgesehen vom verstorbenen König Hroth), die mir nicht abweisend gegenüberstand. Neben ihm stand eine recht große, aber sehr schlanke Frau, die ich vorsichtig auf fünfundzwanzig Sommer schätzte, vielleicht

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