Dorn: Roman (German Edition)
für Schiffe der Krone und jenen königlichen Gästen, die auf dem Seeweg reisten, erschaffen.
Am äußersten Pier lag ein Schiff vor Anker, das sich von den anderen markant durch seine Bauweise unterschied. Es war länger und schmaler. Große Rundschilde hingen an den Seiten über die hölzerne Reling. Und vorn am Bug ragte ein Basiliskenkopf auf einem langen Hals empor, als wäre er bereit jeden zu beißen, der sich dem Schiff in den Weg zu stellen wagte.
Gerade wurden die letzten Kisten und Fässer an Bord gebracht. Wir rannten den Anleger entlang und winkten, um auf uns aufmerksam zu machen.
Zunächst vergebens. Es wirkte, als würden die Seeleute die Planken einholen, über die das Schiff beladen worden war. Doch dann sah ich jemanden zurückwinken. Er war lang und hatte ehemals sehr breite Schultern besessen. Er trug einen Helm auf dem Kopf, den an jeder Seite ein aus Federn nachgestellter Flügel zierte.
Prinz Leonhrak der Nordleute.
Er ließ eine Planke wieder ausfahren, kam vom Schiff und uns entgegen.
»Deckard«, rief er. »Was um alles in der Welt tust du hier?«
Wir kamen vor ihm zum stehen.
»Wir sind nun offiziell Verräter«, sagte Lemander ohne Umschweife.
»Du bist verrückt«, entgegnete Leonhrak trocken.
Doch Lemander schüttelte den Kopf. Leonhrak prüfte unsere Gesichter.
»Ihr seid also Verräter«, wiederholte er langsam, grübelnd.
»Aber nur in diesen Landen«, fügte mein alter Berater hinzu.
Prinz Leonhrak nickte langsam und verständig.
»Ich kann euch kaum glauben, aber ich schätze, ich sollte mir eure Geschichte anhören.«
»Hör sie dir an, wenn wir an Bord sind«, beharrte Lemander. »Und auf der Reise nach Norden.
»An Bord«, bestätigte Leonhrak langsam und reichte Lia die Hand, damit er ihr über die Planke helfen konnte. »Und auf der Reise nach Norden.«
Interludium
Ein Blick aus der Ferne
Markgraf Deckard schob Hinck nicht einfach ab. Das rechnete der Wirtsjunge ihm hoch an. Tatsächlich erzählte er ihm Tag für Tag einen Teil der Geschichte. Oft saßen sie dabei draußen am Steg und Hinck malte sich in seinen Gedanken wunderbare Bilder zu der Geschichte Deckards aus.
Es war früh am Morgen. Hinck brachte gerade einen Eimer frischer Kuhmilch ins Innere des Wirtshauses und bog um die Ecke des Stalls, als er eine Gestalt sah. Er erschrak und ließ den Eimer fallen. Es rumste ordentlich auf den Holzbohlen, die vor dem Stall lagen. Doch glücklicherweise landete der schwere Eimer auf seinem Boden und blieb stehen. Die Milch schwappte bedenklich, aber sie blieb zum allergrößten Teil im Eimer.
Der Alte Bermert stand dort an der Ecke. Auf einen langen Priesterstab gelehnt schüttelte er den Kopf, als er Hinck sah.
»Guten Morgen, Junge«, sagte er mit einem Grinsen. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Was tust du hier?«, fragte Hinck außer Atem vor Schreck.
Bermert zuckte mit den gebeugten Schultern. »Ich wollte einen kurzen Blick auf euren geheimnisvollen Gast werfen.«
Hinck bekam weite Augen.
»Das … das..«, begann er unschlüssig stammelnd.
»Ist schon gut«, beruhigte der alte Bermert ihn. »Ich will nur einen Blick aus der Ferne auf ihn werfen. Ich werde niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen davon sagen.«
Misstrauisch beäugte Hinck den Alten. Der hob wie zur Entschuldigung eine Hand. »Entschuldige, Hinck. Ich bin Priester. Wenigstens ein klitzekleines bisschen Vertrauen habe ich verdient, oder?«
»Na gut«, nuschelte Hinck ergeben und linste vorsichtig an Bermert vorbei. Deckard von Falkenberg saß bereits auf der Bank vor dem Wirtshaus. Eingeschlagen in eine Wolldecke starrte er hinaus in die Morgendämmerung über dem Großen Golf.
»Weißt du, Hinck«, meinte Bermert. »Ich habe ein Leben lang diese Bildchen gesammelt. Aber ich habe kaum jemals eine der Personen, für deren Abstammung und Geschichte ich mich so sehr interessiere, im richtigen Leben gesehen. Ich wollte einfach einmal einen Blick darauf werfen.«
Hinck blickte ihn unschlüssig an und Bermert ergänzte verklärt: »Dieser Deckard von Falkenberg ist ein ziemlich selbstloser Kerl. Held ist das Wort, das viele Leute benutzen würden.«
Hinck starrte ihn immer noch an.
»Sanfte Wege, Hinck«, sagte der Alte und zwinkerte. »Ich muss wieder zurück. Schließlich werden gegen Nachmittag die ersten Fischer heimkehren, die vielleicht das ein oder andere Gebet sprechen oder sich eine Last von der Seele reden wollen.«
Und so wandte sich Bermert wieder zu gehen. Er
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