Dorn: Roman (German Edition)
Harjennern, denn ihre Handwerkskunst konzentrierte sich viel mehr auf das Bearbeiten von Holz und Eisen. Die Hufeisen der Fjordfalben klapperten darauf. Die Pferde wurden uns von eifrigen Bediensteten abgenommen und Leonhrak schritt uns voran durch das imposante Tor in eine noch imposantere Halle. Jeder Baumeister des Ehernen Reiches wäre bereits an dem Versuch verzweifelt, eine Halle zu erdenken, die nur die halbe Größe gehabt hätte.
Drinnen war es kühl. Wie die übrigen Häuser der Harjenner hatte auch die Halle keine Fenster. Sie seien zu unpraktisch bei den rauen Winden der nördlichen Inseln, hatte Brimbart mir erklärt. Daher brannten den gesamten Tag über Feuer im Innern der Häuser, deren Rauch durch große Abzugsöffnungen in der Decke entwich, durch die wenigstens ein Hauch von Tageslicht einfiel. Ein allgegenwärtiger leichter Geruch nach Rauch und Ruß schwebte über allem. Die Halle war wie ein Tempel in mehrere Schiffe unterteilt. Wir strebten durch das mittlere. In den Nischen zwischen den Pfeilern aus Tannenholz waren Bänke, aber auch Betten eingelassen. Hier saß eine Frau an einem Webstuhl, dort kochte eine andere etwas auf einer mit Lehm überzogenen Herdstelle und wieder eine andere umsorgte eine Gruppe von kleineren Kindern.
Die Harjenner hatten eine andere Gesellschaftsstruktur. Im Ehernen Reich wurde Wert darauf gelegt, dass Männer und Frauen vollkommen gleich vor dem Gesetz und ebenso frei in der Wahl waren, wie sie ihr Dasein zu fristen gedachten. Hier, weit im Norden, war es anders. Männer waren hier für die schweren Arbeiten vorgesehen, waren Schmiede und Seeleute und leisteten Kriegsdienste. Frauen dagegen waren verantwortlich für die Erziehung der Kinder, das Weben und Verarbeiten von Stoff, das Kochen und alle anderen Dinge, die im Haushalt anfielen. Trotz ihrer unterschiedlichen Aufgaben, waren ein Mann und seine Frau gleichermaßen Herren in ihrem Haus, für das sie sich die Verantwortung teilten.
Beherrschender Fluchtpunkt der riesigen Halle aus Holz war der Thron König Fjeldings. Ein niedriger Lehnstuhl, der auf einem steinernen Podest stand. Wachen standen zur seiner Linken und zu seiner Rechten und große Wolfshunde lagen faul um das Kohlenfeuer herum, auf das der Thron ausgerichtet war.
Der König war ein Schatten seiner selbst. Sein schlechter Zustand kündete weniger vom künstlichen Alter, als von den Sorgen, die er sich um sein Volk machte. Zusammengesunken saß der Mann auf seinem Thron und starrte ins Feuer. Sein Bart war dünn geworden und seine Augen saßen tief in ihren Höhlen. Er trug kein prachtvolles Gewand. Nicht einmal ein paar wenige kunstvolle Borten hatte es. Auch trug er keinen prächtigen Umhang. Nein, lediglich eine einfache blaue Tunika und Hosen aus Leinen hatte er an, sowie ein ausladendes Bärenfell, das er um die frierenden Schultern gelegt hatte. Eine schwarze, gusseiserne Krone lag schief auf seinem Schoss, er hatte keine Kraft, sie auf dem Haupt zu tragen. Ein Schauer durchlief mich. Es war König Aans Schlachtenkrone. Diese Krone hatte er getragen als er Anselieth erobert hatte. Er hatte auf dem Sterbebett veranlasst, dass sie der damalige Herrscher der Nordleute erbte, aus Dankbarkeit für seine Unterstützung bei den Eroberungszügen um das Eherne Reich. Die Nordleute hatten sie stets in Ehren gehalten und so war die schwarze Krone zum Symbol ihrer Macht geworden. Auch als Jahrzehnte später König Harjenn sich schließlich vom Ehernen Reich losgesagt hatte, hatte er Aans Krone behalten. Sie hier zu sehen, machte mich ehrfürchtig. Damals bei meiner ersten Begegnung mit König Fjelding und seinen Söhnen Leonhrak und Leondorr hatte Fjelding sie getragen – damals voller Stolz und vor Kraft strotzend.
»Vater«, rief Leonhrak schon von weitem und ein zweites Mal: »Vater!«
Da sah der greise König hoch, dessen Körper beinahe zu schwach schien, um die Haut auf seinem Fleisch zu tragen.
Der wieder erstarkte Leonhrak nahm Lia bei der Hand und zog sie im Laufschritt mit sich.
»Leonhrak«, hustete König Fjelding und seine Augen wurden vorübergehend klar.
Lia ging vor dem König in Ehrerbietung auf die Knie, doch Leonhrak zog sie sogleich wieder hoch.
»Nein, meine Liebe«, sagte er bestimmt. »Du solltest vor niemandem auf die Knie fallen.«
Dann ließ er sich ihren Rucksack geben und legte ihn seinem Vater auf den Schoß, um die Nollonin auszupacken.
»Leonhrak«, ließ Fjelding wieder ein heiseres Krächzen vernehmen. Doch
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