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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Tannenwälder gestanden, doch zum einen waren sie dem Bau der Stadt zum Opfer gefallen und zum anderen war nun das Gelände um vieles übersichtlicher. Am Horizont im Nordosten konnte ich die Lichter von Tjaabu sehen und das weite Meer, das sich in der Bucht dahinter öffnete. Mein Blick schweifte zurück über die Stadt aus Holz. Durch die Brecher der beiden in konzentrischen Ringen verlaufenden Wälle wurde die Stadt in diverse Viertel unterteilt. Vom inneren Wall fielen die Brecher ein Stück ab, wie in ein Tal hinein, um lediglich die dahinterliegende Stadt zu teilen und hoben sich wieder zum äußeren Wall hin an. So konnten Feinde nicht einfach auf den zweiten Wall übersetzen, wenn sie einen Teil des ersten erobert haben sollten. Über den äußeren Wall hinaus ragten die Brecher dann weit und hoch in die Ebene und das Umland hinein. Ich hatte nicht wenig Lust, einen von ihnen entlangzulaufen und mich an sein äußeres Ende zu stellen, um in die abendliche Landschaft hineinzublicken. Es musste ein wenig wie das Gefühl sein, am äußersten Ende einer Hafenmole zu stehen und aufs offene Meer zu schauen.
    Ich schwankte noch, ob ich mich wirklich auf den nicht gerade kurzen Weg zum Ende eines der Brecher machen wollte, da hörte ich hinter mir Schritte die Holzstufen hinaufkommen. Leonhrak hatte ebenfalls einen Tonbecher in der Hand – höchstwahrscheinlich mit stark alkoholischem Inhalt.
    »Du bist mir ja ein prächtiger Verräter«, meinte er mit einem fetten Grinsen auf dem Gesicht.
    Sicherlich war das ein Spruch, der aus einer Spaßlaune heraus entstand. Aber ich wusste nicht, ob mir danach zumute war, ihn lustig zu finden. »Bin ich das?«
    »Wären du und deine Freunde nicht gewesen, würde mein Volk wohl immer noch den langsamen Tod des schnellen Alterns sterben.«
    Er gab mir einen herzlich gemeinten Klaps auf die Schulter. »Von daher bist du mir der willkommenste Verräter von allen.«
    Ich spürte, wie ich mir ein müdes Lächeln abrang. »Ich wünschte, ich wäre keiner.«
    »Ich wünschte das auch nicht«, gab Leonhrak entschieden zurück.
    Es klang mitfühlend. Natürlich wusste Leonhrak genau wie es war, sein Volk im Stich lassen zu müssen. Doch im Gegensatz zu mir hatten sich das Glück, das Schicksal oder gar die Götter dazu entschlossen ihn davon zu erlösen. Mich hingegen plagten weiterhin Sorgen. Sorgen um meine Heimat; Sorgen um die Leute, die ich kannte und liebte; Sorgen um das Reich und alles, wofür ich politisch einstand.
    Die kalten Winde, die ungebremst von den eisigen Öden des allerhöchsten Nordens süd- und westwärts über die Wilde See peitschten, ließen meine Haut frösteln. Ich war hier nicht geboren und aufgewachsen. Ich konnte auch im Sommer des Harjenner Reiches nicht in Lederwesten mit bloßen Armen umherlaufen, wie die Männer es hier bisweilen taten. Also zog ich den Hals enger in meinen Kragen und nippte am Met, um mich zu wärmen. Glühwürmchen schwirrten über den Dächern von Lukae und ließen Erinnerungen an die Wälder und Auen in Falkenberg um diese Jahreszeit wach werden.
    »Wie können Geschwister so unterschiedlich sein?«, fragte Leonhrak nach einer Weile.
    Ich sah ihn verständnislos an. »Was meinst du?«
    »Die Elben. Ich meine die Elben. Bei Leondorr und mir ist es wie mit zwei gleichen Früchten vom selben Baum. Wir sind uns in vielen Sachen einig, wir lieben dieselben Dinge und wenn etwas für den einen allein zu schwer ist, machen wir es gemeinsam. Es gibt keinen Neid. Würde mein Vater einst entscheiden, dass Leondorr der bessere Thronerbe wäre … dann wäre das kein Problem für mich.
    Aber bei den Elben … Lia ist ein bezauberndes Geschöpf. Sie ist schön wie die Wilde See und tapfer wie ein Dutzend meiner Männer. Und zu allem Überfluss ist sie tugendhaft genug, um uns Menschen von unserem Schicksal zu erlösen, obwohl wir sicherlich keine großen Gönner der Elben sind.
    Und dann ist da ihr Bruder, von den schmerzvollen Rachegelüsten geleitet, die auch wir Menschen bestens kennen. Er hasst unsere Art so sehr, dass er uns solche Dinge antut wie den Zauber, der auf meinem Volk lastete.«
    »Nicht nur auf deinem Volk«, gab ich zu bedenken. »Auch sein eigenes hat er verflucht.«
    »Unfassbar, oder? Und dann will er grimmig dabei zusehen, wie sich die Menschen gegenseitig vernichten.«
    »Ja«, seufzte ich. »Und ich weiß nicht, wie die Elben reagieren, falls ihm dieser dämonische Plan gelingt. Würden auch sie so tugendhaft bleiben wie

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