Dorn: Roman (German Edition)
der Harjenner-Prinz antwortete nicht. Zärtlich nahm er die Hand des alten Mannes und legte sie auf die Artefakte.
Ein Schlag durchfuhr den alten König und ein Aufschrei ging durch die Umstehenden. Wie bei seinem Sohn gewann schließlich kurz darauf der Bart des Königs wieder an Farbe und seine Augen an Klarheit. Seine Haut verjüngte sich und seine Sitzhaltung wurde aufrechter.
Überall aus dem hölzernen Palast, der uns umgab, kamen die gealterten Harjenner herbei. Ein Raunen ging wie ein Lauffeuer durch ihre Reihen, während sich der König glückselig von seinem Thron erhob und seinen Sohn in eine nun wieder kräftige Umarmung nahm.
»Du siehst«, raunte Lemander mir von hinten ins Ohr, »es ist das Einzige, was wir tun können. Aber es fühlt sich verdammt richtig an, oder?«
Ich konnte ihm nicht antworten. Zu berührt war ich von dem Bild, auf das ich blickte. Ja, dachte ich bei mir. Es fühlte sich tatsächlich richtig an.
Es war auf höchste Weise angenehm und bedrückend zugleich, zu sehen, wie die Nordleute wieder nach Hause fanden. Das galt sowohl für Leonhrak und seine Männer, die ihre tapfere Reise nach Anselieth angetreten waren, als auch für ihr ganzes Volk, das nach und nach von dem dunklen Zauber erlöst wurde, der auf ihm lag. Ein nicht abreißen wollender Zustrom von Pilgern kam nach Lukae, um den Nollonar zu berühren, der ihnen ihr eigentliches Alter wiedergab. Die Gasthäuser waren bald überfüllt und die Wachen der Hölzernen Halle mussten den Zustrom scharf regulieren.
König Fjelding hatte uns ein Schiff samt Besatzung zugesichert, sobald der größte Teil seines Volkes genesen war und so blieben Lia, Lemander und mir einige Tage Zeit, in denen wir uns einerseits von der Reise erholen konnten und andererseits Gelegenheit bekamen, neue Besitztümer zu erwerben. Zwar hatte Leonhrak uns nach unserer Flucht aus Anselieth notdürftig mit Kleidung ausgestattet, doch das war im Grunde das Einzige, was wir besaßen. Ich hatte zwei Goldtalente und etliche Silberpfennige in der Börse – eine völlig übertriebene Menge Geld, die ich vor der Abreise in Richtung Hauptstadt mitgenommen hatte. Eine gute Entscheidung, wie sich herausstellte. So hatte ich zum Beispiel die Schiffspassage von Marnstadt nach Anselieth buchen können, die uns nach Schekichs Überfall und der Weiterreise am Strand gut getan hatte.
Schekich! Ich schüttelte mich beim Gedanken an ihn. Besser, ich beachtete meine abschweifenden Gedanken nicht. Der Attentäter war ein offenes Kapitel in meinem Leben. Wenn er mich nicht fand, würde ich einst ausziehen, um ihn zu stellen – um Hermelinks Tod zu vergelten und um Schekich ein für allemal unschädlich zu machen. Und wenn es mich das Leben kosten sollte, würde ich weitere Gräueltaten des düsteren Attentäters wenigstens nicht erleben müssen, sondern stattdessen auf der sonnenlosen Straße wandeln.
Nun aber war das Mindeste, was ich tun konnte, Lia und Lemander zu einem ausführlichen Einkauf bei den Händlern und Handwerkern der Hauptstadt der Harjenner einzuladen.
Was wir fanden, war hauptsächlich zweckmäßig. Diverse Tuniken und Oberhemden aus dickem Leinenstoff, Hosen, sowie dicke, mit Robbenfell gefütterte Stiefel. Dazu Umhänge aus Loden mit ausladenden Kapuzen, die wettertauglich genug waren, um Regen und Wind zu trotzen. Ich erstand zusätzlich einen Dolch in einer ledernen Scheide, sowie einen zweiten Gürtel mit einigen ledernen Taschen daran. Und natürlich einen Seesack, um mein neues Hab und Gut zu verstauen. Für Lia kaufte ich eine Kette aus Glasperlen mit eleganten Mustern, sowie zwei mit Ornamenten versehene Schalenspangen. Über beides freute sie sich sehr.
»Siehst du«, meinte sie fröhlich. »Du lernst, die Schönheit der Welt langsam doch wertzuschätzen.«
»Ich habe sie auch vorher wertgeschätzt.«
»Aber du lässt deine Trauer immer noch deinen Blick darauf verschleiern.«
Obwohl dieses Mädchen ein Dutzend Sommer weniger gesehen hatte als ich, besaß es doch in manchen Angelegenheiten ein Vielfaches an Weisheit. Ihre Gegenwart war bewundernswert und bezaubernd zugleich. Sie eröffnete mir neue Blickwinkel auf die Welt. Und wäre ich das Dutzend Jahre jünger gewesen, das uns trennte, wäre ich ihr möglicherweise hoffnungslos verfallen. Oh ja, über die unglückliche Liebe zwischen Menschen und Elben gab es Myriaden von Geschichten. Zum Beispiel die von Mallina und Pak, deren Eltern ihnen solange das Zusammensein verweigerten, dass
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