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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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sie erst im Tod zueinander finden konnten – welchen sie dann auch frei wählten.
    Es tat gut, die Last der Pflicht für einige kurze Momente nicht mit voller Wucht zu spüren, auch wenn sie dennoch stetig drückte. Wir saßen hier, droben im Norden und harrten der vollständigen Genesung des Volkes der Nordleute. Tag für Tag kamen Hunderte, wenn nicht gar Tausende an den Hof König Fjeldings – alle nur, um eine mysteriöse schwarze Kristallkugel ein einziges Mal zu berühren. Der Nollonar selbst wurde dabei so gut bewacht, als wäre er eine in Glas gefasste Gottheit.
    Die Abende waren ausgelassen und Lemander ließ sich treiben, erzählte lange Geschichten an den Feuern und gab Lieder aus fernen Ländern zum Besten. Die große Halle verwandelte sich allabendlich in ein einziges Festbankett. Zwei parallel verlaufende, lange Tafeln von vielen Dutzend Schrittlängen führten von einem Ende der Halle zum anderen. Aufgetischt wurde alles, was die Harjenner zu bieten hatten. Es gab in Tannenhonig gebratenen Fasan, Wachteln auf Kräuterbetten und am Spieß gegarte Rebhühner. Lamm und Ziegenbraten mit deftigen Soßen standen bereit, ebenso wie allerlei Sorten zubereiteten Fischs. Eine breite Auswahl von Soßen und Suppen; deftiges Gemüse, von Kartoffeln und Wurzeln bestimmt; herzhaften Ziegen- und Schafskäse; verschiedene Quarkspeisen; allerlei frisches Obst; Feld- und Wiesensalate; Grobes Schwarzbrot und knusprig gebackenes Knäckebrot; eingelegte Eier und Gurken und noch so vieles mehr. Kurzum, die Auswahl an Speisen war überwältigend. Dazu gab es viel Met und Malzbier und ab und an eine Karaffe von dünnem Wein.
    Überall in der Halle wurde um die Herdfeuer getanzt und gesungen. Selbst Lia ließ sich zu dem einen oder anderen Tanz hinreißen, besonders, wenn Leonhrak sie darum bat, der ebenso galant sein konnte, wie er als Führer seiner Leute eine starke Hand bewies. Er besaß trotz der harten Schale einen weichen Kern. Ich wusste nicht, ob er sich nicht vielleicht sogar in mein Elbenmädchen verguckt hatte. Sie verstanden sich ausgesprochen gut – oder zumindest tat Leonhrak sein Bestes dazu. Für ihn schien sie eine Art Heilige zu sein, die sein Volk erlöst hatte und obendrein auch noch von strahlender Schönheit war. Und dass sie eine Elbin aus dem fernen wie exotischen Quainmar war, machte sie selbstverständlich so interessant wie faszinierend für die jungen Männer – oder sollte ich sagen für die wieder jungen Männer?
    Nicht weit von mir entfernt stimmte Lemander klatschend einen weiteren Gesang an, dessen Begleitung ein Skalde auf einer Laute gekonnt improvisierte. Eine Trommel war auch zu hören. Ich lauschte der ausgelassenen Stimmung, die der alte Mann verbreitete. Gerade beendete er das Lied vom tanzenden König:
    Und selbst die Götter liebten ihn
    Ihn sahen sie als Sohn
    Und bauten ihm unter der Welt
    Einen elfenbeinern’ Thron.
    Dort ruht er nun vom langen Tanz
    Und träumt von seinem Land.
    Bis alter Feind sich wieder regt
    Und hebt im Zorn die Hand.
    Dann steht der alte König auf
    Vom Thron unter der Welt.
    Dann tanzt er wieder wundergleich,
    Auf dass sein Volk nicht fällt.
    Nachdem er geendet hatte, brandete Applaus auf. Auch ich klatschte in die Hände, um mich anschließend zu erheben und den Weg nach draußen zu suchen. Nachdenklich und mit einem Tonbecher voll goldenem Met überquerte ich den gepflasterten Außenhof der Halle, der ringsum von einer niedrigen Holzmauer umgeben war. Sie war gerade so hoch, dass sie vom zentralen Hügel, auf dem die Halle ruhte, die Aussicht über die beiden Wälle der Stadt Lukae hinweg ermöglichte. Von hier hatte man einen optimalen Blick über die Tannenholzstadt und das umliegende Land. Nach Südwesten hin lag Lukae direkt am steilen Gebirge. Während der innere der beiden dicken Wälle geschlossen war, zog sich der äußere am Fels hoch, sodass es unmöglich war, ihn zu überwinden. Dahinter lag der nackte, unbegehbare Fels.
    Der Sommer im Norden bedeutete lange und helle Nächte. Vorgestern Nacht hatte ich mir das Phänomen von Brimbart erklären lassen. Im Hochsommer wurde es selbst in der Mitte der Nacht bloß dämmrig. Der Horizont im Westen wurde zu einem glühenden Streifen und die Sonne war nur für zwei kurze Stunden überhaupt völlig hinter dem Horizont verschwunden.
    Jetzt war der Abend noch nicht so weit fortgeschritten. Taghell lagen die Stadt und dahinter die von Moos überzogenen Ebenen vor mir. Einst hatten hier dichte

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