Dorn: Roman (German Edition)
eine ziemlich gute Vorstellung davon, was Lemander beabsichtigte.
Wenig später galt es, mich in der großen Halle abseits des Hauptschiffs einzufinden. An einem eher unscheinbaren Tisch saßen bei Kerzenschein Prinz Leonhrak, sowie Brimbart und zwei weitere, sehr stattliche Nordmänner mit berechnenden Augen. Ihre Namen lauteten Andrak und Behrend und auch sie waren verantwortliche Offiziere.
Schnell und sachlich kamen die Fakten zur Sprache. Wir verfügten über etwa tausendfünfhundert Männer unter Waffen, solchen die schon einmal gedient hatten oder Veteranen. Der jüngere Prinz Leondorr hatte sich umgehend aufgemacht, um in Begleitung eines größeren, handverlesenen Trupps diejenigen zu schützen und zur Umkehr zu bewegen, die von Osten her auf dem Weg nach Lukae waren. Andrak würde das Kommando über alle Männer übernehmen, die keinerlei militärische Ausbildung genossen hatten: alle Handwerker, Händler und Bauern, die in der Stadt zu finden waren. Sie würden in erster Linie zum Pfeilhagel beitragen. Behrend würde die Aufsicht über die Baumeister und Konstrukteure der Ballistik übernehmen und das Kommando über Lemanders Pläne zum Beschuss der Riesen führen. Leonhrak, Brimbart und ich würden die Wälle und Brecher besetzen und den Riesen nach bestem Vermögen Einhalt gebieten.
Ich wollte mich zusammen mit Behrend auf den Weg zu den Kriegsmaschinen machen, als Leonhrak mir den Weg abschnitt.
»Zuerst«, meinte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, »wirst du dich in der Rüstkammer ausstatten lassen. Das einzig Kampftaugliche, das du am Körper trägst, ist dieses zugegebenermaßen sehr elegante Schwert.«
Er zeigte mit dem Finger auf Erlenfang, das über meiner Schulter hing.
»Wenn ich dich morgen früh dort draußen erwische, ohne dass du eine Rüstung trägst, die deinem Stand und deinem Rang gerecht wird«, sagte er drohend, »werde ich dir deinen schönen Kopf abreißen.«
»Dann wäre ich dir auch keine Hilfe mehr.«
Doch die Augen des Prinzen strahlten denselben stolzen Grimm aus, der seinen Vater groß vor dem eigenen Volk machte. Und noch mehr …
»Ich werde nicht zulassen, dass unser gemeinsamer Feind dich erwischt.« Und er fügte hinzu: »Bruder!«
Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter und peitschte mich mit meinen eigenen Worten an, zu glauben, es läge etwas für mich hinter dem morgigen Tag.
»Ich werde mich von keinem Riesen der Welt plattwalzen lassen«, verkündete ich mit schiefem Lächeln. »Es gibt im Süden tapfere Elben, die unserer Hilfe harren.«
» Auch hier gibt es eine Elbin«, ergänzte Leonhrak und starrte an mir vorbei. »Und der sind wir es schuldig, dass wir überleben.«
Ich hatte eine Ahnung davon, was ihn umtrieb und sprach sie aus: »Du bist verliebt in sie, oder?«
Leonhrak sagte eine Weile nichts. Dann schnaubte er und verkündete schroff: »Wir werden es den Riesen schon zeigen. Und anschließend jedem, der es böse meint mit deinem verdammten Ehernen Reich!«
Kapitel 12
Der Größte unter den Riesen
Die Morgendämmerung war bereits in vollem Gange, als Lemander mich weckte.
Ich blinzelte. Die Hölzerne Halle roch nach dem Rauch der Herdfeuer und durch die Abzüge drangen goldene Lichtstrahlen herein.
»Es ist früh am Morgen, Deckard«, grinste er beinahe boshaft. »Heute ist der Tag, an dem Heroen geboren werden. Ich dachte mir, du willst sicherlich keinen Atemzug davon verpassen.«
Ich setzte mich auf, rieb mir die Augen. Ich war auf einer der Bänke in der Hölzernen Halle von Lukae in einen kurzen, traumlosen Schlaf gefallen. Das geschwärzte Kettenhemd aus der Rüstkammer hatte ich zu einem Haufen ineinandergefallener Ringe auf die Bank gelegt. Mit dem sandfarbenen, gepolsterten Gambeson darüber gelegt, hatte es ein beinahe passables Kopfkissen gebildet. Als Decke diente mir mein Umhang.
Lemander streckte mir die Hand entgegen. Doch anstatt mir aufzuhelfen, wie ich zuerst vermutet hatte, drückte er mir ein gefaltetes Stück Papier in die meine und ging seiner Wege. Verdutzt faltete ich es auseinander.
Lieber Deckard,
Es tut mir so leid. Ich würde Dir gern wundervolle Dinge schreiben. Doch jetzt, in den einsamen Stunden der Nacht, in denen ich vor lauter Sorgen nicht schlafen kann, vermag ich Dir nur die schlimmsten zu berichten. Ich hoffe, der Falke trägt sie sicher zu Dir – wo immer Du auch bist.
Mein Vater hat Falkenberg im Norden angegriffen. Ich weiß nichts Genaueres. Doch sein Handeln scheint eine
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