Dornenkuss
Tessa. Er hatte einen würdigeren Tod verdient.
»Colin wird dabei sein und er ist mit unserem Plan einverstanden«, log ich. »Aber es wird nicht klappen, wenn wir euch davon erzählen. Bitte vertrau mir darin.« Es wird nicht klappen, weil ihr uns abhalten werdet. »Tessa ist sehr dumm, das ist ihre einzige Schwäche, und genau damit werden wir sie kriegen. Sie wird uns drei vermutlich gar nicht wahrnehmen, nur Colin und Tillmann. Wir sind für sie nicht interessant. Außerdem liebt Tillmann sie wirklich.« Ich konnte nicht umhin, meinen Mund nach unten zu verziehen, als ich das sagte. In meinen Augen war Tessa kein Wesen, das man lieben konnte. Weder in Teilen noch am ganzen Stück. »Bleibt in unserer Nähe, schaut uns zu, bis es so weit ist. Was danach geschieht, weiß sowieso nur der Himmel.« Selbst der wusste es wahrscheinlich nicht.
Ich nahm die Fäuste von meinen Schläfen und strich Paul über beide Wangen.
»Halte alles bereit«, bat ich ihn. »Vielleicht brauchen wir dich.« Als Arzt und Lebensretter. Ich hoffte, dass es so weit nicht kam, aber aller Wahrscheinlichkeit nach war das der Grund gewesen, warum Colin ihn aufgefordert hatte, sein Klinikdiebesgut mitzunehmen. Immerhin war es eben sein erster Impuls gewesen, Gianna zu untersuchen und medizinisch zu versorgen. Er war nicht weggerannt, hatte sich nicht geekelt, und wenn, hatte er es unterdrückt. Das war ein Anfang.
Und wahrscheinlich leichter, als eine Drogenkarriere zu beginnen, die man niemals, auch nicht in seinen kühnsten Träumen, durchlaufen wollte. Da Tillmann immer noch nicht eingetroffen war, hetzte ich kurz entschlossen nach oben auf den Dachboden und begann in seinen Büchern zu wühlen. Vielleicht fand ich hier brauchbare Informationen, mit denen ich mich wappnen konnte. Ich durfte nicht aufhören, etwas zu tun oder anzuordnen, sonst würde ich in mich zusammenfallen wie Gianna … oder mich in den Volvo setzen und abhauen.
Vom Garten ertönten bedrohliche Schläge – Louis’ Hufe, die gegen die Stallwand schlugen, und das Fixieren der Nägel an den Brettern, die das Pferd vorsorglich einsperrten. Ich wusste nicht, ob das notwendig war, denn Tessa hatte Louis vergangenen Sommer ebenso wenig wahrgenommen wie mich. Doch das hieß nicht, dass sie ihm nicht noch etwas angetan hätte. Wir hatten sie bei ihrem Raubzug unterbrochen.
Fahrig blätterte ich in einem Bündel Ausdrucke, die ich zwischen Tillmanns Büchern gefunden hatte – da, ein Dossier mit dem Titel Zucht und Verwendung von Magic Mushrooms. Der Anbau interessierte mich nicht, ich brauchte Informationen zur Wirkungsweise und zum Konsum. Möglicherweise konnte ich schon etwas vorbereiten. Wie nahm man die Dinger eigentlich ein? Rauchte man sie? Oder aß man sie pur?
Hier, hier stand etwas dazu … Dosierungshinweise. Ich kniete mich auf den Boden, um die Zeilen aufmerksam zu studieren.
»Zunächst muss Folgendes klar sein: Bevor Sie die Pilze konsumieren, sollten Sie sich sicher sein, dass Sie über eine gesunde Portion Selbstsicherheit verfügen und sich selbst gut leiden können. «
»Oh nein …«, stöhnte ich und verbarg mein Gesicht in den eng bedruckten Papieren. War das ein Scherz? Eine gesunde Portion Selbstsicherheit? Mich gut leiden können? Ich hob meinen Kopf und las weiter. »Sie sollten keine größeren Schwierigkeiten in Ihrem Leben haben. «
Ich begann hysterisch zu lachen. Es war ein Scherz. Das war einer dieser berühmten Fälle, in denen das Leben nur noch aus Ironie bestand. Wie in dem Song von Alanis Morissette. Niemals durfte ich, Elisabeth Sturm, halluzinogene Pilze einnehmen, denn in größeren Schwierigkeiten hatte ich selten gesteckt, ganz abgesehen von all der Kritik, den Zweifeln und Vorbehalten, die ich mir gegenüber in petto hatte.
»Sie kommt, oder?«
Ich drehte mich zu schnell um, sodass mein Nacken knackte und ich mir beinahe den Kopf am Bettrand stieß. Tillmann stand hinter mir, triefnass, in Badehose und mit feuerroten Striemen an seinen Beinen. Hatten wir ihn dermaßen fest verprügelt? Nein, das war etwas anderes … die Wunden bluteten fast …
»Quallen«, erläuterte er und streifte seine Badehose herunter. Seinen Hintern hatten sie auch erwischt. »Sie haben mich plötzlich angegriffen, ein ganzer Schwarm. So schnell bin ich noch nie im Leben geschwommen.« Er war außer Atem und musste husten, als er sich bückte, um eine frische Hose und ein trockenes Shirt vom Boden aufzuklauben.
»Ein Quickie, hm?«, fragte er nur
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