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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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und wie? Das war nichts, was wir übers Knie brechen konnten. Wir mussten gut darüber nachdenken, was wir taten, und im Moment wollte ich nur existieren und nicht zu viel denken, ich wollte diesen Zustand von heute Morgen noch ein wenig bewahren, um wieder zu Kräften zu kommen. Und mir dieses geborgene Gefühl von heute Nacht zurückerträumen …
    »Sagst du es den anderen?«, bat ich Paul leise. »Ich war ja nicht sonderlich beliebt in den vergangenen Tagen.« Geändert hatte sich daran nicht viel. Dabei hatte ich doch niemandem etwas getan. Gut, vielleicht hatte ich Tillmann etwas getan, indem ich zu ihm unter die Decke geschlüpft war, aber ich hatte ihn weder verletzen noch kränken wollen und eigentlich musste er das wissen.
    Paul kam meinem Wunsch nach. In wenigen Sätzen machte er Gianna und Tillmann beim Frühstück klar, dass wir die kommenden acht Tage ausschließlich Ferien machen würden. Ich registrierte Tillmanns erstaunten Blick, mit dem er mich ansah, als diese Worte fielen. Ja, womöglich hatte er das nicht von mir erwartet. Aber er hatte es auch nicht mit dicken Lymphknoten und wütenden Mahren zu tun gehabt. Ich brauchte eine Pause. Ich hatte sie schon gebraucht, bevor wir losgefahren waren. Und es war allein Pauls und meine Entscheidung, wann wir nach unserem Vater zu suchen begannen.
    Gianna willigte erst widerstrebend, dann aber beinahe erleichtert ein. Sie hatte genug von ihrem unfreiwilligen Nebenjob als Gefahrensucherin und war für eine Woche davon beurlaubt worden. Das konnte ihr nur recht sein. Trotzdem versuchte ich mich zu verteidigen, denn Tillmanns Augen klebten immer noch an mir.
    »Wenn sich etwas ergibt oder Colin eine Information bekommt, reagieren wir natürlich darauf, keine Frage. Aber erst einmal … erst einmal muss ich wieder durchatmen können.«
    »Ich glaube, das müssen wir alle«, sagte Gianna und legte reflexartig die Hand auf ihren Bauch. Ihr war nicht mehr übel gewesen in den letzten Tagen, aber wahrscheinlich fürchtete sie, es würde wiederkommen, wenn wir uns in ein weiteres Abenteuer stürzten. »Deshalb schlage ich vor, dass wir heute Abend zusammen nach Pietrapaola in die Pianobar fahren und ein wenig unseren Sieg feiern. Einverstanden?«
    Ich hatte meinen Sieg zwar heute Nacht schon gefeiert – auch wenn dies streckenweise eher einer Trauerfeier geähnelt hatte –, doch ich fand ebenfalls, dass es Zeit war, sich den schönen Seiten Italiens zu widmen, auch wenn ich das Gefühl hatte, dass die anderen nur noch meine Bekannten und nicht mehr meine Freunde waren. Selbst mein Bruder hegte einen Groll gegen mich, obwohl er ihn zu unterdrücken versuchte. Aber auch die Jungs stimmten zu, Paul mit einem Nicken, Tillmann mit einem Brummen.
    Stunden später traute ich meinen eigenen Augen kaum, als Colin bei Sonnenuntergang mit Louis am Strand auftauchte, während ich gerade weit hinausgeschwommen war, so weit, dass ich die Hügelketten sehen konnte, in deren ausgetrockneten Wäldern es hier und da rot aufleuchtete. Brandherde. Ob Colin nach mir Ausschau hielt, sich vielleicht sogar um mich sorgte? Oder waren seine Gedanken nur bei Louis? Ich beeilte mich zurückzuschwimmen, doch er verschwand samt Pferd, bevor ich die Brandung erreichte. Gianna teilte mir hinter ihren schwarzen Brillengläsern mit, dass er uns heute Abend begleiten würde. Auch das konnte ich kaum fassen.
    Kurz vor unserem Aufbruch stand er plötzlich im Türrahmen, als ich auf dem Bett saß und mich meinen störrischen Haaren widmete. Ich ließ ihn bei meinem Kampf zusehen, ohne ein Wort zu verlieren.
    Schon der gesamte Tag war schweigsam gewesen. Keine gemeinsamen Volleyballschlachten. Keine Witzeleien. Kein Tratschen am Strand. Tillmann strafte mich mit Schweigen, Gianna blieb wortkarg, Paul grübelte. Und immerzu hatte ich das Gefühl, dass es meine Schuld sei. Nun war auch ich stumm. Bei Colin sollte es jedoch keine Retourkutsche sein; ich wusste einfach nicht, welches Thema ich anschneiden konnte, ohne dass unser Gespräch in Streit ausartete und wir wütend, vielleicht auch gierig übereinander herfielen, ob im Kampf oder in der Liebe. Beides war jetzt eher unpassend.
    Aus seiner Miene konnte ich nicht herauslesen, was er dachte oder fühlte. Falls er etwas fühlte. Als ich schließlich, nachdem ich mich mal wieder den Launen meiner Haare unterworfen hatte, mit hocherhobenem Haupt an ihm vorbeistolzierte, klatschte er mir in einer seiner vor Selbstbewusstsein strotzenden Machogesten auf

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