Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
Vom Netzwerk:
zu viel versprochen. Giannas und Pauls camera war ein Schlafzimmer und kein Liebesnest – ein Schlafzimmer für Paare, die es ernst meinten. Sie hatten den mit Abstand schönsten Raum des Hauses ergattert, stellte ich wieder einmal fest, als ich ihn betrat. Groß, mit lang gezogenen Fenstern, einem Baldachin über dem Bett, wuchtigen dunklen Schränken und schneeweißer Wäsche. In diesem Zimmer konnte man seine Hochzeitsnacht verbringen und Mädchen entjungfern. In Süditalien fiel vermutlich noch beides zusammen. Jeder würde das Blut auf dem Laken sehen können.
    Ich verscheuchte diese verstörenden Gedanken und setzte mich neben Paul, der immer noch damit beschäftigt war, wach zu werden. Schwer stöhnend rollte er sich auf den Rücken, die Haare wüst zerzaust und das Gesicht voller Schlaffalten.
    »Morgen, Schwesterchen. Was gibt’s?«
    »Morgen. Dieses Mal habe ich eine Bitte an dich.«
    Paul hustete und richtete sich auf, um mit mir auf einer Höhe zu sein.
    »Was für eine Bitte denn?«
    Ich versuchte, die abstehenden Strähnen auf seinem Oberkopf platt zu drücken, scheiterte aber. Da half nur duschen. Wenigstens zuckte er nicht vor mir zurück, sondern ließ mich gähnend gewähren.
    »Es ist so …«, begann ich umständlich. »Ich … wir … wir müssten ja jetzt eigentlich sofort nach Papa suchen, oder? Tessa ist tot, keine Gefahr mehr, keine Vorsichtsmaßnahmen nötig, aber … ich …« Ich hab keine Ahnung, wie wir das anstellen sollen, dachte ich verzweifelt. Und vor allem habe ich keine Kraft dafür. Noch nicht. »Ich brauche eine Pause, Paul, nur ein paar Tage, eine Woche höchstens, nicht mehr. Das war alles so aufreibend und kräftezehrend für mich, diese Angst, dass ich krank bin, die Sache mit Tessa. Und von dem Kampf gegen François habe ich mich auch noch nicht erholen können. Dazu die schwere Entscheidung mit dem Penizillin …«
    »Ach ja. Diese Entscheidung.« Pauls Gesicht verhärtete sich.
    »Es war doch die richtige, oder?« Verdammt, hatte ich das etwa auch falsch gemacht? Hatten die anderen sich in den vergangenen Tagen gegen mich verbündet?
    »Ja. Es war die richtige. Das hatte ich dir bereits gesagt. Aber ich hätte sie gerne selbst gefällt.«
    »Du hast geschlafen, Paul …«
    »Du hättest mich wecken können!«
    Mir fiel nichts ein, was ich zu meiner Verteidigung sagen konnte – außer Dingen, die Paul nicht hören wollte. Dass im Grunde nur ich das hatte entscheiden können, weil ich diejenige war, die dicke Lymphknoten und Fieber gehabt hatte. Dass er womöglich zu lange überlegt hätte. Dass es meine ganz persönliche Angelegenheit war. Aber in seinen Augen hatte er wieder versagt. Einmal mehr. Er war passiv gewesen, während andere handelten.
    »Tut mir leid«, murmelte ich schließlich. »Sie wäre aber so oder so gestorben. Und jetzt … jetzt brauche ich ein bisschen Zeit für mich. Bitte. Schon Hamburg war hart genug für mich.« Ich bereute meine Worte bereits, während ich sie aussprach. Hamburg war nur so hart gewesen, weil ich damals schon gehandelt hatte, während Paul ruhte. Und ich erinnerte ihn auch noch daran …
    Doch er legte seine Hand auf mein Knie und drückte es kurz.
    »Ist okay, Ellie. Eigentlich müssten wir alle ins Sanatorium. Es kann nicht schaden, für ein paar Tage gar nichts zu tun. Ich möchte am liebsten sofort nach Papa suchen, aber … ich alleine kann wahrscheinlich sowieso nichts ausrichten. Wir brauchen dafür Colin, oder?«
    Ich nickte und schluckte trocken. Ja, so dachte ich mir das auch, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob Colin dazu in der Lage war. Über seine Mahrkontakte hatte er sich stets ausgeschwiegen und lediglich erwähnt, dass er kein gutes Standing hatte. Mit seinem Lebensentwurf – so nahe wie möglich bei den Menschen und Traumraube ausschließlich bei Tieren – stellte er das Dasein seiner Artgenossen infrage. Und nun hatte er seine eigene Mutter getötet. Wir hatten sie gemeinsam getötet. Mahre führten zwar keine Freundschaften und wahrscheinlich würde sie niemand vermissen. Nichtsdestotrotz war es für ihn eine heikle Angelegenheit, nach Papa zu recherchieren. Möglicherweise begab er sich und uns damit in große Gefahr und von Gefahren hatte ich vorerst genug.
    Außerdem fühlte ich mich jetzt, wo ich gerade erst überlebt hatte, völlig überfordert mit unserem Vorhaben. Ich wusste nicht einmal, wo ich beginnen sollte. Wir mussten einen der Revoluzzer finden, mit denen Papa zusammengearbeitet hatte, aber wo

Weitere Kostenlose Bücher